Predigt zum Semesteranfangsgottesdienst Mai 2011: "Nichts ist unmöglich - Babylon"

Liebe Studentinnen und Studenten!

Die Menschen von Babel wollen hoch hinaus! Sie wollen einen Turm errichten, der bis zum Himmel reicht und sich dadurch einen Namen machen. Mit diesen wenigen Worten ist eigentlich alles gesagt: nicht nur über die Menschen von damals, sondern auch über die Menschen von heute, und vielleicht ja auch über dich und mich. Wer sind wir? Wir sind Menschen, die sich einen Namen machen wollen.

Da ist ein Studentin, und sie legt sich mächtig ins Zeug. Sie will nicht nur einen mittelmäßigen Abschluss machen, sondern zu den Besten gehören, zur Elite. Sie ist nicht dumm, gehört aber auch nicht zu den Überfliegern, so dass sie einiges an Arbeit investieren muss. Schließlich ist es ihr dann auch tatsächlich gelungen einen guten Abschluss zu machen. Natürlich wollte sie das auch aus sehr pragmatischen Gründe, weil sie ihren Lieblingsjob bekommen wollte. Aber wenn man ihr stolzes Lächeln sieht, mit dem sie ihr Abschlusszeugnis in Empfang nimmt, dann merkt man auch, dass sie sich und anderen damit etwas bewiesen hat: Nicht nur, dass sie etwas kann, sondern auch, dass sie jemand ist. Sie hat etwas aus sich gemacht. Sie hat sich einen Namen gemacht.

Da ist ein junger Mann, der gerade promoviert hat. Aus Herrn Schmidt wurde nun offiziell Herr Dr. Schmidt. Eines Tages bekommt er einen offiziellen Brief, der aber enttäuschender Weise immer noch an Herrn Schmidt adressiert ist. Er überlegt kurz, aber dann greift er doch zum Telefonhörer und ruft bei der entsprechenden Stelle an: „Entschuldigen Sie bitte, aber in Zukunft bitte „Herr Dr. Schmidt“. Sicher, er hat sich seinen Titel verdient – davon gehen wir jetzt jedenfalls einfach mal aus – aber man merkt auch deutlich: Dieser Mensch hat nicht nur einen Titel. Er identifiziert sich auch mit seinem Titel, er schöpft daraus einen nicht unerheblichen Teil seines Selbstbewusstseins. Er hat sich mit der Promotion einen Namen gemacht oder zumindest den Namen, den er hatte, kräftig unterstrichen.

Ich könnte hier unendlich weitermachen. So vieles tun wir, um uns einen Namen zu machen. Wir drucken schöne Visitenkarten, wir gehen ins Netz, wir nehmen an einer Castingshow teil, und wenn wir nicht so modern sind, dann versuchen wir vielleicht einfach nur, uns mehr oder weniger geschickt in den Vordergund zu spielen. Wir hatten im letzten Semester in unserem Ethikcafé einen Abend zum Thema „Mein Leben. Eine Castingshow? Über den Zwang und die Lust, das eigene Leben zu perfektionieren.“ Ein Supertitel, auch wenn er leider nicht von mir stammt. Aber das ist es: der Zwang und die Lust, das eigene leben zu perfektionieren oder eben, etwas altmodischer ausgedrückt: „über den Zwang und die Lust sich einen Namen zu machen.“

Nun gibt es allerdings noch eine Möglichkeit, sich einen Namen zu machen, nämlich über das Kollektiv, und dieser Weg steht bei unserer Geschichte vom Turmbau zu Babylon sogar im Vordergund. „Wir sind es“, so sagen die Menschen von Babylon, „die diesen Turm gebaut haben.“ In solchen Fällen wird das eigene Ich dadurch aufgewertet, dass man seinen Wert oder seine Bedeutung vom Kollektiv abhängig macht. Alexander und Margarete Mitscherlich haben in einer psychologisch tiefsinnigen Analyse von diesem Hintergrund her den Aufstieg und Niedergang des Dritten Reiches gedeutet. Menschen, die sich ohnmächtig und minderwertig fühlten, haben sich mit dem Führer und seine Ideen identifiziert und dadurch ein neues Selbstwertgefühl bekommen. Der einfache Arbeiter war nun auf einmal wer. Freilich, dieses Selbstwertgefühl war nicht authentisch. Es war immer an das Kollektiv gebunden. Deshalb wurde der Zusammenbruch des Nationalsozialismus von so vielen nicht nur als politischer sondern als persönlicher Zusammenbruch erfahren („Ichentleerung“). Ein Muster, das auch heute noch bei vielen und nicht nur totalitären Bewegungen funktioniert.

„Sich einen Namen zu machen“ – egal nun ob individuell oder kollektiv – wird in der Geschichte vom Turmbau zu Babel vor allem negativ beurteilt. Das fängt bei ganz feiner Ironie kann: Gott muss sich hinabbeugen, dass er den riesigen babylonischen Turm überhaupt sehen kann. So unterschiedlich also können die Perspektiven sein. Das, was in den Augen von uns Menschen eine Epoche machende Errungenschaft ist, ist in den Augen Gottes „nichts“. Diese Kritik setzt sich darin fort, dass Gott die Sprache der Babylonier verwirrt, sozusagen den Server mal kurz abschaltet, um dadurch das Gelingen dieses gewaltigen Projekts zu verhindern. Anscheinend ahnt Gott schon, was mächtige menschliche Machtsysteme an Unmenschlichkeit hervorbringen können. Wir wissen das ja auch alle, und wir erleben es gerade in der Gegenwart wieder sehr intensiv, wenn wir an arabische Despoten wie Gadaffi denken.

Dennoch möchte ich hier einhaken und einmal sehr grundsätzlich fragen: Ist es denn wirklich so falsch, sich einen Namen machen zu wollen? Gehört das nicht irgendwie zu unserem Menschsein dazu? – Vielleicht würde uns der Verfasser der Geschichte vom babylonischen Turm auf diese Frage sagen: „Freunde, missversteht mich nicht, die Sehnsucht, einen Namen zu haben, ist völlig legitim. Wie der Fisch das Wasser, so brauchen wir Menschen Liebe und Anerkennung, ohne das können wir schlicht und ergreifend nicht leben. Wir brauchen das Gefühl: Ich bin einzigartig. Aber diese Ursehnsucht, die wird eben gerade nicht dadurch gestillt, dass wir uns selbst einen Namen machen. Wir müssen das auch gar nicht. Wir haben nämlich schon einen Namen machen, und zwar bei Gott. Gott schaut uns an, nennt uns mit unserem Namen und gibt uns damit zu verstehen, dass wir schon jemand sind, einfach so, ohne dass wir etwas dafür geleistet haben. „Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Natürlich benutzt Gott oft auch Menschen und Umstände, um uns sein Ja erfahren zu lassen, aber es ist wichtig für uns zu erfahren, dass die göttliche Liebe eine letzte, unabhängige und absolut vertrauenswürdige Instanz ist, die eben auch dann da ist, wenn Menschen uns verneinen und ablehnen. Diese Erfahrung der göttlichen Liebe kann ungeheuer befreiend sein. Sie erlöst uns von den vielen verkrampften Versuchen, aus sich selbst etwas machen zu müssen. Diese Versuche sind ja auch wahnsinnig anstrengend, weil sie immer nach dem „wenn – dann – Muster“ gestrickt sind. Nur wenn du dies oder jenes erreicht hast, bist du was. Bei Gott gibt es kein „wenn – dann“, bei ihm gibt es nur ein „ohne wenn und aber“: Bedingungslose Annahme und Liebe. So werde ich wahrhaft frei. Ich muss nicht allen Menschen gefallen und ich bin auch dann jemand, wenn mir meine Projekte misslingen.

Aber wie ist es nun mit unseren menschlichen Produkten, egal, ob es um die Errichtung eines Turms oder von irgendetwas anderem geht. Hat Gott damit Probleme? Nein, er hat damit keine Probleme: Gott ist nicht lebens- und kulturfeindlich. Er freut sich, wenn wir etwas schaffen, was schön und gut ist. Er hat deshalb auch nichts gegen einen schönen und meinetwegen auch großen Turm. Genau so wenig hat er etwas gegen Kreativität, gegen die Liebe zur Literatur, zur Kunst, zu was auch immer. Er hat auch nichts dagegen, wenn wir und andere uns an unseren Werken freuen. Anzunehmen, dass Gott gegen all das wäre, wäre unnatürlich und seltsam: Wir sind doch seine Ebenbilder, haben Teil an seiner Schöpfungsenergie und Kreativität. Gott will nur eins: dass wir unsere Werke nicht zu unserer Selbstrechtfertigung missbrauchen. Sie sollen aus einem Überfluss an Liebe und Energie geboren werden, nicht aus dem Mangel, nicht als falsche Ersatzbefriedigung. Wenn es uns primär darum geht, uns einen Namen zu machen, dann schadet dies nicht nur uns, sondern auch unseren Werken. Und wenn Gott deshalb solche hybriden Unternehmen wie das Projekt „Babylonischer Turm“ verhindert, dann nicht, weil er uns nicht gönnt, dass wir tolle Dinge zustande bringen, sondern weil er weiß, dass dort, wo die menschliche Hybris dominant ist, unsere Werke schnell ins Negative umkippen und uns statt zum Segen zum Fluch werden.

So ist die Geschichte vom babylonischen Turm letztlich eine Ermutigung zwischen Letztem und Vorletztem zu unterscheiden. Die letzten Sehnsüchte kann nur Gott stillen. Wenn wir das gelernt und erfahren haben, erst dann werden wir fähig sein, eine positive Kultur zu schaffen. Dann ist unsere Kultur der Ausdruck unserer inneren Fülle und nicht der verkrampfte Versuch, diese Fülle erst zu schaffen.

Amen

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