1Kön 19: Alles hinschmeißen?

Liebe Gemeinde!

Kennen Sie Situationen, wo sie am liebsten alles hinschmeißen möchten, wo Sie drauf und dran sind, vor dem Leben zu kapitulieren? Weil ja doch alles keinen Sinn hat. Weil die Welt sich nicht radikal genug zum Guten hin ändert. Weil es keine Gerechtigkeit gibt und die anständigen und sympathischen Typen auf der Strecke bleiben. Weil die menschlichen Beziehungen oft so unendlich schwierig und kompliziert sind. Weil wir merken, dass wir trotz aller Anstrengungen nicht aus unserer Haut heraus können und immer wieder in die gleichen Fallen tappen. Kurz: Weil sich alles Engagment und aller Einsatz letzlich doch nicht zu lohnen scheint und man oft den Eindruck hat, dass das Leben eine einzige Sisyphosarbeit ist. Wenn wir solche deprimierten Stimmungen kennen, dann sind wir bei Elia richtig. Denn er, der Prophet, hatte die Schnauze nun wirklich voll. Er hat sich für Gott aufgeopfert, die Götzendiener bekämpft, und zum Dank dafür will ihn die Königin Isebel nun umbringen. So geht er weg von den Menschen, die ihm so zugesetzt haben, geht in die Wüste und will nur noch eines: sich unter einen Walcholder legen und sterben. “Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele.”

Es gibt Situationen, wo wir spüren, dass wir uns nicht mehr am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können, wo uns aufgeht: das Münchhausenprinzip klappt nicht. In solchen Augenblicken hat es auch keinen Sinn mehr sich einzureden, dass schon alles wieder werden wird (Trostpflästerchen). Da hilft nur noch eines: sich radikal ehrlich die eigene Not einzugestehen, sie Gott zu klagen – und: zu warten. Darauf zu warten, dass von Gott her das rettende Wunder geschieht. Genau das tut Elia. Dabei scheint mir gerade der tiefe Schlaf, der ihn überfällt, eine sprechende Geste dafür zu sein, dass er nun wirklich alles Gott anheim gestellt hat. Indem er schläft, gibt er alles aus der Hand, verabschiedet sich von der Illusion, dass er das Kind schon noch irgendwie schaukeln wird und vertraut allein auf Gott. “Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.” Dieser Satz bedeutet nicht, dass Gott ein Gott der Phlegmatiker ist. Aber er weist uns darauf hin, dass wir durch unsere dauernde Betriebsamkeit Gott oft mehr im Wege stehen als ihm nützen. Deshalb kann der Schlaf für uns zum Heilmittel werden. Wenn wir schlafen und nichts tun, dann kann endlich einmal Gott loslegen. (Antike) Also laßt uns mal so richtig aus- und durchschlafen, und so Gott die Ehre geben.

Bei Elia kommt etwas in Bewegung. Er erlebt auf wunderbare Weise, dass Gott den aufrichtet, der sich ihm wie eine leere Schale entgegenstreckt. Er wacht auf, und da sieht er vor sich geröstetes Brot und frisches Wasser. Er stärkt sich, doch die innere Erschöpfung ist noch so groß, dass er gleich wieder einschläft. Ein zweites Mal wacht er auf. Noch einmal steht Brot und Wasser für ihn bereit. Ich finde das phantastisch, ich finde es phantastisch, dass Gott uns so menschlich begegnet. Er weiß, dass wir Fleisch und Blut sind. Er weiß, dass die Seele den Körper beeinflußt und der Körper die Seele. Deshalb beginnt die göttliche Depressionmstherapie oft damit, dass Gott uns ermutigt, unseren Körper wieder ernster zu nehmen. Vielleicht sind wir manchmal auch deshalb innerlich so erschöpft und ausgelaugt, weil wir unseren Körper nicht mehr ernst nehmen. Vielleicht müssen wir erst ein paar mal wieder so richtig durchschlafen, um wieder normal zu werden. Vielleicht brauchen wir äußere Ruhe, Abschirmung von der hektischen Lärm- und Sehkulisse, die uns dauernd umgibt. Vielleicht brauchen wir Sport und Bewegung, damit wir wieder beginnen, uns zu spüren. Gott therapiert und ganzheitlich. Er nimmt Leib und Seele ernst. Er berührt den Leib, damit die Seele wieder in Form kommt.

Freilich, und das ist das andere: Alleine mit einer Wellnesskur im Schwarzwald oder am Toten Meer ist es auch nicht getan. Im Kern haben die Krisen unseres Leben doch immer etwas mit der Haltung unseres Herzens zu tun, mit unserer geistig-seelischen Grundeinstellung. Die göttliche Therapie muß deshalb weitergehen, sie muß zu diesem Kern vorstoßen. Nach dem Leib kommt bei Elia die Seele dran. Elia scheint dies intuitiv zu spüren, er merkt, dass es da in seinem Leben etwas gibt, das der Klärung bedarf. Deshalb macht er sich nun auf den Weg und wandert zum Gottesberg, zum Horeb, zum Sinai. Er geht dorthin, wo alles seinen Anfang nahm. Er geht zum Ursprung. Er geht zur Quelle. Allein Gott, das Herz und Zentrum aller Wirklichkeit, der Ergründer aller Geheimnisse kann ihm offenbaren, was sein innerstes Problem ist, kann ihn befreien von seiner depressiven Stimmung.

Kennen Sie dieses Gefühl? Dieses Gefühl, dass es in meinem Leben etwas gibt, das aufgedeckt werden muß, das aus der Finsternis hervor ans Licht geholt werden muß, weil es mich sonst dauernd belastet. Wir alle haben diese dunklen Seiten … Wennn diese sich melden, dann wissen wir oft noch nicht, was es ist, aber wir wissen, dass es da etwas gibt. Es ist eine Gnade, wenn wir das spüren, denn dann sind wir kurz vor der Heilung. Dann hat uns Gott bereits berührt. Dann sind wir bereits auf dem Weg zum Gottesberg. Es ist dann gut, der Spur zu folgen.

Schließlich nun steht Elia am Gottesberg. Durch den langen Weg ist er inzwischen auch an dem Punkt angelangt, wo er sein Problem in Worte fassen kann. Aus dem anfangs eher noch diffusen Gefühl von Niedergeschlagenheit erhebt sich deutlich und klar die Frage seine Lebens: “Gott”, so sagt er, “ich habe für dich geeifert. Jawohl! Ich habe mich mächtig ins Zeug gelegt. Ich habe mich nicht geschont. Ich habe Entbehrungen und Mühsaal aller Art auf mich genommen. Aber all das hat nichts gebracht. Die Israeliten haben deine Altäre zerbrochen, deine Propheten getötet und beten andere Götter an. Es ist hoffnungslos. Sie sind unverbesserlich. Deine Sache ist gescheitert, und damit bin auch ich gescheitert.”

Wie reagiert Gott auf dieses Eingeständnis des Scheiterns? Er befiehlt Elia: Tritt heraus, ich werde vorübergehen. Nun beginnt etwas Ungewöhnliches, etwas völlig Überraschendes. Es ereignen sich merkwürdige Naturphänomene: Sturm, Erdbeben und Feuer. Aber immer heißt es pointiert: Aber der Herr war nicht darin; nicht im Sturm, nicht im Erdbeben nicht im Feuer. Schließlich kommt ein leiser, sanfter Windhauch. Man könnte auch übersetzen: eine “hörbare” Stille. Jetzt tritt Elia heraus, zittert vor Erregung, verhüllt sein Angesicht. Er spürt es: Gott selbst ist da. Aber er spürt noch mehr. Er erkennt durch diese spezifische Gotteserfahrung nun auch, was in seinem Leben bislang falsch gelaufen ist. Es ist ja immer so: Gotteserkenntnis führt zur Selbsterkenntnis und Selbsterkenntnis zur Gotteserkenntnis. Doch was war es, das ihm aufging? Was war die Botschaft Gottes für ihn?

Sturm, Erdbeben und Feuer waren im Glauben Israels die traditionellen göttlichen Erscheinungsweisen. Denken wir nur an die Gottesoffenbarung, die das aus der Sklaverei befreite Volk Israel am Sinai erlebte. Da raucht und dampft der Berg, als Gott sich dem Mose offenbarte. Diese gewaltigen göttlichen Erscheinungsweisen sagen etwas über Gott aus. Sie zeigen, dass Gott ein starker und mächtiger Gott ist: einer, der etwas verändern will und es auch kann. Gott ist kein bloßer Gedanke, keine philosophische Abstraktion. Gott ist Wirklichkeit, pure Wirklichkeit. Im Grunde genommen lebt der Glaube in seiner Substanz von dieser Überzeugung. Würden wir nicht daran glauben, dass Gott die Macht hat, mit uns und dieser Welt letztlich ans Ziel zun kommen, dann könnten wir gleich einpacken.

Wenn es hier dennoch so zugespitzt heißt, dass Gott dem Elia nicht im Feuer, im Erdbeben und im Sturm begegnet, dann ist damit allerdings auf eine Gefahr hingewiesen, die dieser Glaube an den starken und mächtigen Gott in sich trägt. Es ist die Gefahr, dass wir Gott zur Projektionsfläche für unsere Allmachtsphantasien machen. Wir Menschen neigen ja immer dazu, Gott nach unserem Bilde zu formen. Wollen wir selbst mächtig uns einflußreich sein, dann vergöttlichen wir das Ideal der Macht und sagen: Gott ist die reine Macht. Wir benutzen Gott, um unseren egoistischen Lebensstil vor uns und anderen zu rechtfertigen und sperren uns gegen die Seiten Gottes, die uns gerade zum Heilmittel werden könnten. Dieser Gefahr scheint Elia erlegen zu sein. Aus den Eliageschichten begegnet mir ein Elia, der sein Leben nicht vertun wollte, der wollte, dass dabei etwas herauskommt, sichtbare und vorzeigbare Ergebnisse. Er wollte die Welt zum Guten hin umkrempeln, sicher, aber er wollte dabei auch selbst groß herauskommen. Er wollte, dass man einmal auf ihn zurückblickt, ihn als einen Gotteshelden verehrt und ihm am besten ein Denkmal am Karmel setzt. Er sagte Gott, aber meinte zu einem nicht unwesentlichen Teil sich selbst. Er hat sich getäuscht in der Ehrlichkeit seiner Motive. Deshalb war er auch so niedergeschlagen und deprimiert, als seine Revolution gescheitert ist. Er hat die Niederlage in seinem Dienst als persönliche Niederlage erlebt. Es ist sein gekränkter Stolz, der ihn am Leben verzweifeln ließ. So wie sein persönliches Lebensideal war, so war auch sein Gottesbild. Für Elia mußte Gott ein mächtiger Regent sein. Einer, der wie Sturm, Feuer und Erdbeben über diesen Globus hinwegfegt, alles Böse vernichtet und endgültig die Welt erlöst. Vor allem soll dieser Gott gefälligst seine und Elias Gegner beseitigen.
Deshalb begegnet Gott ihm jetzt so ganz anders: nicht im Großen, sondern im Kleinen, nicht laut und dröhnend, sondern still, fast unhörbar. Es ist so, wie wenn Gott sagen würde: “Elia, es geht nicht um äußere Macht. Es geht nicht um ein Ideal, das auf Gedeih und Verderben verwirklicht werden muß. Es geht darum, zu lieben. Die Macht der Liebe, das ist die eigentliche Macht. Glaube mir, das Böse mit Stumpf und Stiel auszurotten, ist nicht schwer. (Aber wer würde übrig bleiben?) Die Menschen jedoch in Liebe zu ertragen, sie mit all ihren dunklen Seiten zu ertragen, sie nicht aufzugeben, solange bis sie aufwachen und diese Liebe erwiedern, das ist die wahre göttliche Kunst. Lerne diese Kunst vom Wind und vom Wasser. Diese beiden umspielen den rauhen Stein, solange bis er glatt und schön geworden. Diese göttliche Kunst, Elia, sollst auch du lernen. Darin allein liegt deine Erlösung.”
Am Gottesberg hat Elia gelernt, dass auch er nur ein sterblicher Mensch ist. Keine Spur besser als seine Väter. Kein Gottesheld. Nur ein kleiner und begrenzter Mensch. Er hat sich seinem Schatten und seiner Unvollkommenheit gestellt. Er hat kapiert, dass er davon lebt, dass Gott ihn trotzdem liebt. Er hat damit kapiert, dass Gott auch die Welt trotz ihrer Unvollkommenheit liebt. Mit anderen Worten: Er hat kapiert, was es mit der Liebe auf sich hat.

Viel Niedergeschlagenheit in unserem Leben kommt wie bei Elia aus enttäuschtem Idealismus. Wir legen eine Schablone auf die Welt und unser Leben und sagen: So soll oder muß die Welt sein. So soll oder muß mein Leben sein. Dann engagieren wir uns und setzen uns für unsere Ideale ein, so lange bis wir frustriert an der Wirklichkeit zerbrechen. Ich will nicht sagen, dass es falsch ist, Ideale zu haben. Die Eliageschichte will uns auch nicht unsere Ideale austreiben, sehr wohl aber den revolutionären und umstürzlerischen Idealisten. Sie will uns auf den Weg einer sanften Revolution führen, auf den Weg der Liebe. Alles andere bringt letztlich nichts, weil die Revolution letztlich immer ihre Kinder frißt. Alles andere ist auch bei uns oft nur eine Ausgeburt unseres Bedürfnisses, uns in den Vordergrund zu spielen. Der Herr ist nicht im Erdbeben, er ist nicht im Sturm und im Feuer, er ist im sanften stillen Windhauch.
Amen

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