Mt 4,1-11: Die Versuchungen Jesu

Liebe Gemeinde!

Vor etlichen Jahren wurde in deutschen Kinos ein Film gezeigt, der in manchen christlichen Kreisen für helle Empörung sorgte. Es war „Die letzte Versuchung Christi“. In diesem Film begegnet uns ein sehr menschlicher Jesus. Ein Jesus, der unter gewaltigen Versuchungen litt. Ein Jesus, der sogar am Kreuz noch davon träumt herabzusteigen und mit einer Frau an seiner Seite ein angenehmes Leben zu führen. Nun kann man an diesem Film sicher vieles kritisieren. Aber er könnte uns auch helfen von Innen zu begreifen, was wir theoretisch dauernd bekennen: dass Jesus nämlich ein wirklicher Mensch war und somit auch seine Versuchungen keine Scheingefechte waren, sondern wirkliche Versuchungen. Das schließt nicht aus, dass er als der Sohn Gottes aus einem besonderen göttlichen Geheimnis heraus gelebt hat und so auch die Kraft empfangen hat, den Versuchungen zu widerstehen. Aber es schließt aus, darin einen selbstverständlichen Automatismus zu sehen. Jesu war kein über die Erde wandelnder Gott.

I
Matthäus erzählt, dass Jesus vierzig Tage in der Wüste gefastet hat. Nach diesem Fasten trat der Teufel an ihn heran, um ihn zu versuchen. Das klingt sehr phantastisch, fast märchenhaft. Aber Matthäus will uns damit sicher nicht glauben machen, dass sich das alles historisch genauso abgespielt hat. Vermutlich wollte er uns nur möglichst anschaulich vor Augen führen, was die entscheidenden Versuchungen im Leben Jesu waren. Wie ein Künstler fasst er alles in einem erzählten „Bild“ zusammen und lenkt so unseren Blick auf das Wesentliche. Doch was ist das Wesentliche? Haben diese drei Versuchungen denn so etwas wie einen gemeinsamen Nenner?
Die erste Versuchung: Jesus soll aus Steinen Brot machen! Übertrage wir diese Szene in das wirkliche Leben Jesu, dann könnte das konkret so ausgesehen haben: „Jesus“, so flüstert die Stimme der Versuchung, „es ist unbestreitbar wahr, dass du eine religiöse Autorität ersten Ranges bist. Du hast wirkliche Vollmacht. Viele bewundern dich aufrichtig. Deshalb ist es eigentlich auch nur recht und billig, wenn du und deine Jüngerschar mit dem zum Leben Notwendigen versorgt werden. Deshalb empfehle ich Dir, das einfach in einer Predigt mal zum Thema zu machen. Weise die Menschen daraufhin, dass Gott ganzheitliche Hingabe will und dass eine solche auch zum Teilen bereit sein muss. Sprich offen an, dass du und deine Jünger schon lange kein anständiges Essen mehr hatten. Jesus, du wirst sehen, wie gerne dich die Leute unterstützen. Da ist doch nichts dabei. Allen ist geholfen. Und schließlich will Gott doch, dass es Euch gut geht. Also: Keine falsche Bescheidenheit.“
Die zweite Versuchung: Jesus soll sich von der Zinne des Tempels stürzen und darauf vertrauen, dass die Engel Gottes ihn auf Händen tragen werden. Im echten Leben könnte die teuflische Stimme so geklungen haben: „Lieber Jesus, pass ein wenig besser auf dich auf. Gott will nicht, dass dir etwas zustößt. Vor allem: Sei nicht immer so konsequent und undiplomatisch, wenn du die Botschaft Gottes verkündigst. Komm den Menschen ruhig ein wenig entgegen. Sei rücksichtsvoll gegenüber ihren kleinen Schwächen, Lügen und Betrügereien. Und du wirst sehen: Man wird dich lieben und ehren. Man wird dir eine Verdienstmedaille nach der anderen um den Hals hängen. Suche stets den goldenen Mittelweg, dann wird sich alles schön und harmonisch entwickeln. Willst du denn, dass man dich für verrückt hält? Willst du, dass man dich wegsperrt, oder – ich wage kaum es auszusprechen – dich beseitigt? Davon hätte doch auch niemand etwas. Nein, glaube mir: Wenn du in Gefahr bist, werden dich die Engel Gottes auf Händen tragen. Gott will nicht, dass du an deinem Auftrag zerbrichst.“
Wozu also fordert der Teufel Jesus auf? Er fordert ihn genau zu dem auf, was dann in der dritten Versuchung ausführlich beschrieben wird: Jesus soll sich selbst in den Mittelpunkt stellen. Er soll versuchen möglichst mächtig zu werden. Er soll sich in keinem Fall darauf verlassen, dass Gott sich um ihn und sein Glück kümmern wird. Nein, das muss man schon selbst in die Hand nehmen. Jesus darf dabei durchaus „religiös“ sein. Warum nicht? Er soll nur aufpassen, dass die Prioritäten richtig gesetzt sind.

II
Nun geht es in der Versuchungsgeschichte nicht nur um die Versuchungen Jesu. Es geht auch um unsere Versuchungen. Es geht um die Frage, welche Wege zu einem erfüllten Leben und zu echtem Glück führen und welche Wege Irrwege sind. Die Antwort des Teufels ist klar! Er sagt: Suche mit allen Mitteln dein Glück und du wirst es finden. Bemühe dich, dass du dein Schäfchen im Trockenen hast. Arbeite an deiner Karriere! Mache dir einen Namen! Lass dir von niemand an den Karren fahren! Religion und Mitmenschlichkeit sind dabei nicht zu verachten. Aber sie dürfen nie über deinen Interessen stehen. Kurz: Suche mit allen Mitteln dein Lebensglück, und ich werde mit dir sein und dir helfen.
Doch finden wir auf diese Weise wirklich das Leben? Oft denken wir tatsächlich: Ich muss dieses und jenes haben, dieses und jenes erreichen, dann bin ich glücklich. Wenn ich zum Beispiel auf der Karriereleiter ganz oben bin, dann kann ich mich endlich zurücklehnen und es mir gut gehen lassen. Wenn ich mir einen Namen gemacht habe, im Beruf, in der Welt der Wissenschaft, in der Kirche, dann werde ich zufrieden sein. Wenn mich alle mögen, dann werde ich endlich auch selbst mit mir zufrieden sein. Wenn ich dieses oder jenes Abenteuer noch gewagt habe, dieses oder jenes Land noch gesehen habe, wenn ich sozusagen alles „mitgenommen“ habe, was mir erstrebenswert erscheint, dann ist meine Lebenssehnsucht gestillt. Das Problem ist nur: In dem Moment, wo wir das Ersehnte erreicht haben, merken wir oft sehr schnell, dass der Schein getrogen hat. Auf einmal kommen wir uns wie Seifenblasenjäger vor. Voller Sehnsucht jagen wir unseren Träumen nach. Doch in dem Moment, wo sie Wirklichkeit werden, zerplatzen sie wie Seifenblasen, die wir berühren. Wir sind wie Kinder, die sich riesig auf die Geschenke an Weihnachten freuen. Doch zwei Tage nach Weihnachten steht der ganze Kram unbeachtet in der Ecke. Das Eigenartigste ist nun allerdings, dass wir trotz der immer wiederkehrenden Enttäuschungen nicht mit diesem Wahnsinn aufhören. Kaum ist eine Illusion zerstört, tritt an deren Stelle die nächste. Vielleicht ist es also doch nicht so leicht, seines eigenen Glückes Schmied zu sein.

III
Jesus konnte dem Teufel widerstehen. Er konnte ihm deshalb widerstehen, weil er wusste, dass der Mensch nur dort wirklich zur Ruhe kommt, wo er Gott findet. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Genauso wenig lebt er von seinen Besitztümern, seiner großartigen Karriere oder seinem einzigartigen gesellschaftlichen Status. Auch menschliche Liebe und Sympathie können ihn nicht völlig befriedigen. Nein, der Mensch braucht mehr. Es gibt in ihm eine Leerstelle, die nur Gott ausfüllen kann. Erst wenn ein Mensch spürt, dass Gott ihn freundlich ansieht und Du zu ihm sagt, erst dann kommt die Sehnsucht seines Herzens wirklich zur Ruhe. „Unruhig ist unser Herz bis es ruht, o Gott, in Dir.“ So hat es der heilige Augustinus formuliert. Ein Mensch, der dies erfährt, der beginnt auf einmal zu begreifen: Das Glück liegt nicht darin, dass ich dieses und jenes habe. Gott selbst ist das Glück. Er ist das Glück, weil ich durch ihn vollkommene Annahme erfahre und es so immer mehr lerne, mich selbst anzunehmen und die vielen Möglichkeiten zu entdecken, die in mir stecken. Er ist das Glück, weil mir durch ihn eine andere Sicht auf die Wirklichkeit geschenkt wird. Plötzlich merke ich, dass das Glück in gewisser Weise eigentlich schon immer da war. Ich habe es nur nicht gesehen, weil ich mit dieser irrwitzigen Seifenblasenjagd beschäftigt war. Ich bin umgeben von einer wunderbaren und geheimnisvollen Welt, die aus Liebe und Güte geschaffen wurde. Ich sehe Menschen um mich herum, die aufgehen wie eine Frühlingsblume, wenn man sie freundlich behandelt. Ist das alles und noch viel mehr kein Glück? Es gibt wirklich nur eins, das uns am Glücklichsein hindert: die irrige, die „teuflische“ Überzeugung, dass wir erst dann glücklich sind, wenn wir dieses oder jenes haben. Damit macht der Teufel sein Geschäft, und er verdient dabei nicht schlecht.

Das tiefe innere Bewusstsein, dass Gott ihn liebt und ihn nicht enttäuschen wird, der „Besitz“ dieses inneren Schatzes allein gab Jesus dann auch die Kraft den Weg Gottes konsequent zu gehen. Natürlich wollte auch Jesus essen, trinken und es sich gut gehen lassen. Aber er wusste: Wenn ich Gottes Willen tue, dann wird Gott mir alles geben. Ich muss es mir nicht selber nehmen. Schon gleich gar nicht muss ich andere moralisch unter Druck setzen, um mich zu unterstützen. Klar, auch Jesus wäre lieber beklatscht und gefeiert worden. Vor allem wäre er lieber am Leben geblieben, statt sich den Qualen einer Kreuzigung auszusetzen. Aber er hat deshalb nicht die Wahrheit Gottes verdreht. Er ist keine falschen Kompromisse eingegangen. Er ist seinen Weg bis zum Ende gegangen, weil er wusste, dass er sich auf Gott verlassen kann. Und hat Gott ihn nicht auch überreich beschenkt? Gewiss, Gott hat ihm das Leid und den Tod nicht erspart, aber am Ende hat er ihn auferweckt und ihm das Leben in seiner ganzen Fülle gegeben. Der, der darauf verzichtet hat für sich zu sorgen und etwas aus sich zu machen, dem hat Gott den Namen gegeben, der über allen Namen steht.

IV
Jesus Christus ist durch seinen Geist mitten unter uns. Er will und kann uns auch in den Prozessen unseres Lebens helfen, Irrwege zu durchschauen und den Weg des Lebens zu finden. Vor allem will er uns hinein nehmen in die Liebe seines Vaters, die allein uns von Innen her heilen kann. So lasst uns zum Schluss beten: „Guter Herr, bewahre uns vor dem Irrglauben, dass wir das Glück unseres Lebens selbst produzieren können. Lass uns in der Liebe Gottes zur Ruhe kommen und darauf vertrauen, dass Du uns gibst, was wir zu einem erfüllten und glücklichen Leben brauchen.“ Amen

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