Totenauferweckung in Nain (Lk 7,11 ff.)

Liebe Gemeinde!

Von all den Wundern, die Jesus getan hat, sind seine Totenauferweckungen sicher die sensationellsten, und vielleicht auch die am schwersten zu glaubenden. Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass angesichts der eben gehörten biblischen Geschichte vor unserem geistigen Auge ganz schnell eine Schlagzeile auftaucht, wie wir sie aus der Bildzeitung kennen: „Dorf im Schock: Religiöser Heiler aus Nazareth stört Beerdigungszeremonie und macht Toten wieder lebendig.“

Aber ist dieses ganze Geschehen wirklich so sensationell, wie es auf den ersten Blick scheint? Ist diese Totenauferweckung in Nain tatsächlich ein Ereignis, das alle Kategorien sprengt? Da ist etwas Unerklärliches und Aufsehen Erregendes geschehen! Ohne Zweifel! Da ist eine Mutter todtraurig aufgestanden und am Abend überglücklich ins Bett gegangen: Das Schlimmste, was sie bislang erlebt hat, der Tod des eigenen Kindes, wurde wie durch Wunderhand rückgängig gemacht. Da stand ein Dorf tagelang Kopf. Wo man auch hinging, zum Bäcker, zum Fleischer, in die Kneipe am Dorfplatz, überall gab es nur ein Gesprächsthema, nur eine Frage: Wie war das möglich? Was ist da eigentlich geschehen? Dennoch, ich wiederhole die Frage: Ist diese Totenauferweckung wirklich ein Ereignis, das alle Kategorien sprengt? Und ich antworte: Nein! Deshalb „nein“, weil auch in Nain irgendwann wieder der ganz normale Alltag einkehrte. Irgendwann hat die galiläische Bildzeitung ein neues Thema gefunden, und irgendwann ist auch der junge Mann kein junger Mann mehr gewesen, sondern ein alter Mann – bis er schließlich gestorben ist, so wie wir alle!

Nivelliere ich damit das Wunder? Bürste ich damit die Geschichte gegen den Strich? Ich glaube nicht. Denn wenn man aufmerksam liest, dann merkt man sehr schnell, dass auch für den biblischen Autor, der sie uns erzählt hat, das Wichtigste nicht die Totenauferweckung selbst ist, sondern der, der sie vollbracht hat: Jesus von Nazareth. Das Entscheidende ist, dass die Menschen erkennen, dass in Jesus Gott selbst zu uns gekommen ist. Die Totenauferweckung ist ein Zeichen, ist ein Hinweis. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie soll uns erkennen lassen, dass Jesus derjenige ist, der göttliches Leben in sich hat und der deshalb auch uns in umfassender Weise lebendig machen kann. Wenn ich mich im Wald verirre und nach Stunden endlich eine Wegmarkierung finde, dann bin ich über diese Wegmarkierung natürlich unendlich glücklich, aber eben vor allem deshalb, weil sie mich auf etwas aufmerksam macht, weil sie mir zeigt, wie ich wieder nach Hause komme.

Die entscheidende Frage damals und heute heißt deshalb: Erkennen wir in Jesus den, der unsere tiefsten Bedürfnisse nach Leben stillen kann? Und das gilt auch für den jungen Mann aus Nain und seine Mutter. Auch wenn beide an diesem Tag großartig beschenkt wurden, so bedeutet dies ja noch lange nicht, dass sie von nun an für den Rest ihres Lebens glückliche und zufriedene Menschen gewesen wären. Sie haben ihr Leben neu geschenkt bekommen. Ja! Aber das ist erst einmal nur etwas Äußeres. Mehr Leben zu bekommen, bedeutet doch noch lange nicht, auch mehr Lebensqualität zu haben. Auch für sie gilt: Erst wenn sie sich im Glauben für Jesus öffnen, wenn sie seiner Liebe Raum geben, erst dann ist das Wunder, das Jesus hier getan hat, zu seinem Ziel gelangt, man könnte provozierend sogar sagen: Erst dann ist wirklich ein Wunder geschehen.

Aber warum ist alles Leben schal und bedeutungslos ohne Jesus? Was bringt Jesus denn in unser Leben hinein, wenn wir ihn nur lassen? Warum machen erst er und sein Gott uns wahrhaft lebendig? Ganz einfach: Weil nur er die Verkörperung der vollkommenen Liebe ist und weil nur die Erfahrung dieser Liebe mein Herz wirklich zur Ruhe kommen lässt, mich glücklich macht und mir überschäumenden Lebensmut gibt.

Nun gibt es hunderttausend Arten, wie man diese Liebe erfahren kann, und für jeden und jede ist da auch etwas anderes wichtig, deshalb kann ich Ihnen nur ganz subjektiv erzählen, was da für mich im Augenblick besonders wichtig ist. Für mich ist es im Moment die Erfahrung, dass mir diese Liebe hilft, mit meiner Angst besser fertig zu werden. Ich weiß nicht, ob ich ein eher ängstlicher Mensch bin, aber manchmal gehöre ich schon zu denen, die, wenn sie aus dem Haus gehen, erst dreimal überlegen, ob sie nun den Herd ausgestellt haben und vor ihrem geistigen Auge schon das Haus in Flammen stehen sehen. Manchmal sehe ich mich, wenn mich irgendetwas an meinem Körper schmerzt, bereits auf der Intensivstation liegen, und ab und zu, wenn ich irgendwo eine Schlappe einstecken musste, fürchte ich, dass von nun alles nur noch bergab geht. Sie können sich vorstellen, dass solche Ängste die Lebensfreude nicht gerade fördern. Nun aber habe ich Jesus in mir und um mich herum, und ich merke, dass dadurch alles anders werden kann: Denn immer wenn mich solche Ängste überkommen, kann ich auf ihn schauen und sagen: Ich weiß, dass du mich liebst und deshalb alles gut werden wird, denn du hast nur das Beste für mich im Sinn. Deshalb: Nimm mir diese blöde Angst und stärke mein Vertrauen in deine Liebe. Oft merke ich dann, wie Heiterkeit uns Gelassenheit in mein Leben einziehen und ich wieder Lust zum Leben bekomme.

Ich habe jetzt ein wenig aus meinem persönlichen Nähkästchen geplaudert, vielleicht liegen ihre Lebensprobleme, wo Sie ganz persönlich Heilung brauchen, ganz woanders, aber ich bin überzeugt: Seine Liebe hat auch für Ihr Problem eine Lösung bereit.

Es geht darum, Jesus „zu haben“, Gott „zu haben“, ihn zu spüren und zu erfahren im eigenen Leben, dann ist alles andere nachgeordnet. Auch die Frage, wie lange ich noch leben darf, verliert dann an Gewicht. Es gibt in der Hospizbewegung einen Satz, der mich immer wieder sehr beeindruckt. Er heißt: „Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben.“ Dieser Satz ist ganz im Sinne unserer Geschichte, auch wenn das „den Tagen mehr Leben geben“ hier ganz fest mit Jesus zusammenhängt. Ich sage diesen Satz nicht leichtfertig, denn es ist sicher eine hohe Kunst zu wissen, dass man nicht mehr lange zu leben hat, und dennoch nicht zu verzweifeln, sondern in innerer Zuversicht zu sagen: „Es wird alles gut werden, weil Gott mich durch Jesus in seinen Händen hält. Seine Liebe hält und trägt mich auch im Sterben, aber gerade deshalb will ich nicht nur an das Sterben denken, sondern mich am Leben freuen, an der Natur, an den Menschen um mich herum.“ Ich hoffe allerdings, dass wir dann, wenn wir in unserem normalen Leben Jesus Raum geben und ihm immer mehr vertrauen lernen, es dann auch in solchen extremen Situationen eher schaffen. Ich weiß freilich auch, dass man das mit dem Glauben nie so lernen kann, dass es einem nicht mehr verloren gehen kann. Vertrauen ist und bleibt immer auch ein Geschenk, gerade in solchen Krisen. Vielleicht ist der wichtigste Satz im Evangelium nicht der Satz „ich glaube“, sondern der Satz: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“

Nain, zwanzig Jahre später! Was hat sich in der Zwischenzeit getan? Lebt die Mutter des jungen Mannes noch? Hat sie aus dem Wunder von damals etwas gelernt? Hat sie vielleicht auch gelernt, dass nicht ihr Sohn das Wichtigste ist, sondern Gottes Liebe, die in Jesus nahe gekommen ist? Kann sie deshalb besser loslassen, wenn es nun bei ihr ans Sterben geht? Was ist mit dem jungen Mann? Hat er einfach so weiter gelebt wie vorher? Nach dem Motto: Ich hatte halt einfach unverschämtes Glück, dass mir damals dieser Heiler begegnet ist? Oder hat er aus seinem Leben etwas gemacht? Etwas, das den Namen „Leben“ verdient? Was ist mit den anderen Dorfbewohnern, mit denen, die damals gesagt haben: „Gott hat sein Volk besucht.“ Haben sie sich im Glauben an Jesus und seinen Gott festgemacht? Oder haben sie sich diesen Satz ausreden lassen, nachdem dieser Jesus in Jerusalem hingerichtet worden war und es als durchgedreht und verrückt galt, daran zu glauben, dass Gott gerade ihn auferweckt hat? Kurz: Hat man das Zeichen als Zeichen verstanden oder blieb man am nur Sensationellen hängen? Das war damals die entscheidende Frage, und das ist sie auch heute noch.

Amen

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