Liebe Gemeinde!
Eine Welt, wo es immer nur ein klares Ja oder ein klares Nein gäbe, wäre eine wunderbare Welt, fast schon das Paradies. Es wäre eine Welt mit weniger Misstrauen und Verdächtigungen, weil man nicht die Angst haben müsste, dass einer zwar Ja sagt, aber eigentlich Nein meint, man sich also nicht wirklich auf ihn verlassen kann. Es wäre eine Welt, wo die Politikverdrossenheit abnehmen würde, weil man nicht befürchten muss, dass Wahlversprechen immer nur bis zum Tag der Wahlen gelten, während nachher die Devise gilt: Was interessiert mich mein dummes Geschwätz von gestern. Es wäre eine Welt, wo man nicht dauernd durch die Werbung betrogen würde, sondern die Chance auf ehrliche Information hätte. Natürlich wäre auch eine Welt des klaren Ja und des klaren Nein keine Welt, wo es keine Gegensätze und Konflikte gäbe, aber es wäre eine Welt, wo man die Hoffnung haben könnte, dass Klärungen schließlich doch möglich sind: denn nur, wer sich eindeutig zu seiner Position bekennt ist ein vertrauenswürdiger Gesprächspartner und damit ein guter Garant dafür, dass man vielleicht doch noch einen Kompromiss oder gar eine einvernehmliche Lösung findet. Leider ist diese Welt der Klarheit und Wahrhaftigkeit nicht unsere Welt. Die Welt, in der wir leben, ist vielfach eine Welt der Lüge und des Betrugs.
Ich verstehe deshalb Jesus gut, wenn er den Eid am liebsten abschaffen würde. Denn die Voraussetzung des Eides ist ja, dass ich normalerweise nicht die Wahrheit sage, jedenfalls nicht die ganze Wahrheit oder sogar lüge, und ich es deshalb besonders bekräftigen muss, wenn ich dann einmal doch die Wahrheit sage. Für Jesus ist ein abgelegter Eid ein Zeichen dafür, dass ich das System der Lüge generell akzeptiere und eben nur ab und zu eine Ausnahme mache, und genau das will er nicht. Noch weniger will er, dass wir bei Gott schwören: denn Gott, den König der ganzen Welt, ehren wir nicht dadurch, dass wir ihn vor den Karren unseres Systems spannen, sondern dadurch, dass wir in allem wahrhaftig und ehrlich sind. Ja, ja, oder nein, nein, das ist ein Gottesdienst, der Gott ehrt, alles andere ist vom Übel.
Nun glaube ich freilich nicht, dass es viel Sinn macht, sich über die Verlogenheit unserer Welt übermäßig aufzuregen. Das greift nur die Nerven an und ändert doch nichts. Was aber durchaus sinnvoll sein könnte, ist die Frage, warum wir uns mit einem klaren Ja und einem klaren Nein, also mit der Ehrlichkeit, oft so schwer tun. Vielleicht können wir dann auch besser begreifen, wie uns der Glaube helfen kann, neu zu ehrlichen und vertrauenswürdigen Menschen zu werden.
Mein erster Satz in diesem Zusammenhang heißt: Ich kann nur dann nach außen klar sein, wenn ich auch innerlich klar bin, oder anders formuliert: Ich muss wissen, was ich will, wenn ich nicht nur um den heißen Brei herumreden will, sondern es mein Wunsch ist, klare Aussagen zu machen.
Es ist nun genau diese wünschenswerte innere Klarheit, die Gott uns schenken will. Nicht umsonst ist im Neuen Testament immer wieder davon die Rede, dass Gott uns im Inneren erleuchtet. Gott hat einen hellen Strahl in unser Herz fallen lassen, und dieser helle Strahl lässt mich Christus erkennen, und durch ihn, dass ich, meine Mitmenschen, ja die ganze Schöpfung unendlich von Gott geliebt sind und dass Gott nur eines will: dass wir uns lieben lassen und selbst zu liebenden Menschen werden. Mit dieser inneren Erleuchtung habe ich schon viel gewonnen. Ich weiß dann z.B. sehr genau, dass es unmenschlich ist, wenn Flüchtlinge im Mittelmeer massenweise ertrinken, weil sie das europäische Paradies entern wollen, und wir nicht alles in unserer Macht stehende tun, um neue Katastrophen zu verhindern. Ich weiß damit vielleicht noch nicht, wie eine zukunftsfähige Lösung im Detail aussehen muss, aber ich weiß, dass es gegen Gottes Willen ist, die Augen zuzumachen und einfach zur Tagesordnung überzugehen. In einer solchen Situation kann Ehrlichkeit dann eben auch bedeuten, sich dazu zu bekennen, dass ich noch keine ganz befriedigende Lösung habe. Aber dieser Weg hat eine Verheißung!
Aber selbst dort, wo ich zumindest stückweise erkenne, was eigentlich zu tun oder zu lassen ist, ist es oft noch ein langer Weg, diese Einsicht mit Klarheit nach außen hin zu vertreten und auch zu leben, und das, was mich oft am meisten davon abhält, ist meiner Beobachtung nach vor allem die Angst. Im Grunde genommen sind es zwei Ängste: die Angst, es mir mit anderen zu verscherzen, und die Angst, zu kurz zu kommen. Lassen Sie mich darauf kurz eingehen:
Die Angst, es mir mit anderen zu verscherzen! Wir Menschen sehnen uns nach der Liebe und der Anerkennung der anderen, und auch ich sehne mich danach. Ich weiß aber auch, dass es mich unfrei macht, wenn ich mein Verhalten zu sehr daran orientiere, ob etwas ankommt oder nicht, ja dass es mich im schlimmsten Fall sogar unglaubwürdig macht. Deshalb will mir Gott beibringen, dass man das Nein und den Widerstand von Menschen manchmal auch aushalten muss. Es ist nicht unbedingt ein Kompliment, wenn uns alle lieben. In diesem Lernprozess hilft mir Gott durch seine Liebe: Er stärkt mir den Rücken, wenn ich wieder mal in der versuchen bin, etwas zu sagen oder zu tun, von dem ich eigentlich weiß, dass es nicht richtig ist.
Die andere Angst, die durchaus mit der ersten zusammenhängt, ist die Angst zu kurz zu kommen. Ich habe Angst, dass ich dort, wo ich zu ungeschützt sage, was ich denke, wo ich zu ehrlich und zu undiplomatisch bin, dass ich mir dort selbst Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten nehme. Und ganz ehrlich: Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Ich nehme mal ein sehr Prominentes Beispiel: Oscar Romero. Er war der Erzbischof von El Salvador. Eigentlich ein angepasster Typ, lernte er mit der Zeit doch, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen und geriet so in Opposition zum politischen Regime. Das brachte ihm in der Kirche nicht nur Freunde, zum Papst wäre er damals sicher nicht gewählt worden. Klar, die Menschen machten ihn zu ihrem Idol, aber in den Augen der Institution ist er durchgefallen. Wir alle wissen es: Mit Ehrlichkeit, auch wenn es eine freundliche Ehrlichkeit ist, die nicht dauernd auf den Tisch haut und fanatisch rumbrüllt, mache ich mir nicht nur Freunde, und im Extremfall verderbe ich mir damit vielleicht tatsächlich die Karriere. Das ist so! Es ist allerdings auch so, dass es noch eine andere Karriere gibt, nämlich die bei Gott: Gott nämlich springt im Dreieck vor Freude, wenn Menschen nicht auf das Äußere setzen, sondern auf die Wahrheit, und deshalb wird er das auch nicht unbelohnt lassen: Einmal wird offenbar werden, was wirklich groß war in dieser Welt. (Seligpreisungen!) Deshalb: Entscheide selbst, auf welche Art von Karriere es dir ankommt!
Ein wahrhaftiger Mensch zu werden, einer der Mut zum Ja und Mut zum Nein hat, ist also alles andere als leicht. Es bedarf da viel innerer Arbeit, einer Arbeit, die uns hilft, durch die Liebe Gottes eine klare innere Linie zu finden und dann auch die entsprechenden Ängste zu überwinden. Vermutlich ist das eine lebenslange Arbeit, eine Arbeit, die dort beginnt, wo ich mir in der Stille von Gott sein Ja sagen lasse. Das möge Gott uns immer mehr schenken.
Amen
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