Selbstperfektionierung? - Predigt zu 1 Kor 3,4ff

Liebe Gemeinde!

Als Bücherfreak schaue ich mir natürlich jedes Mal, wenn ich in einer Buchhandlung bin, auch die religiöse bzw. christliche Ecke an. Und da ist mir ein Phänomen aufgefallen, das in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat. Mir fiel auf, dass man im christlichen Sektor oft nur noch drei, vier Namen findet, und sonst nichts oder nur wenig. Zu diesen Namen gehören ganz sicher Anselm Grün, Margot Kässmann und der Papst. Von diesen Leuten sind zahlreiche Bücher eingestellt, aber das war es dann meist auch. Wenn man keine Ahnung hat und nur das sieht, dann könnte man tatsächlich den Eindruck bekommen, das Christentum besteht vor allem aus diesen paar Lichtgestalten. Ach ja, manchmal gibt es auch noch eine Sparte mit dem Namen „Jesus“. Jesus, wer war das noch einmal? Eine weitere christliche Lichtgestalt? Es gab mal eine Zeit, da waren solche Regale nach sachlichen Kriterien geordnet, aber diese Zeit ist anscheinend längst vorbei.

Ich erwähne das, weil sich darin ein gesellschaftlicher Trend zeigt, der auch vor den Kirchen nicht Halt macht. Das, was heute zählt und überall propagiert wird, ist die strahlende und überragende Einzelpersönlichkeit. Diese gilt es zu finden – auch in Form von Schönheitswettbewerben und Castings –, und meint man erst mal, diese gefunden zu haben, dann gibt es kein Halten mehr: dann tut man alles, um sie medial aufzubauen. Klar, dass sich das auch rechnet. Ein Buch, ein Lied oder ein Film eines berühmten Menschen wird nur selten ein Flopp, bei dem Produkt eines Newcomers, es mag noch so gut sein, weiß man das eben nicht so genau. Ein finanziell riskantes Unternehmen. Verbunden ist mit diesem Persönlichkeitskult in Gesellschaft und Kirche ein immenser Wahn der Selbstperfektionierung. Ich werde heute an jeder Ecke dazu aufgefordert, mich selbst zu inszenieren, soll zeigen, was für ein toller Hecht ich bin. Nur wenn ich mich auf diesen Stil einlasse, mache ich Karriere. Denken Sie doch nur an Bewerbungsgespräche. Da gibt es natürlich auch die berühmte Frage: Haben Sie auch Schwächen. Und die inzwischen leider gar nicht mehr so originelle Antwort heißt: „Natürlich“, dann wird ein nicht ganz so prickelndes Defizit erwähnt, um dann sofort hinzuzufügen: „Aber ich habe gelernt, damit umzugehen, sodass sich die Schwäche in atemberaubender Weise in eine Stärke verwandelt hat.“ Aha! Stellen Sie sich nur einmal vor, jemand würde sagen: „Ich habe ein paar Probleme, an denen leide ich nach wie vor, und leider weiß ich nicht immer, wie ich damit umgehen soll.“ Die Negativaspekte dieses Trends legen auf der Hand: Stillere und bescheidenere Menschen, die aber durchaus auch etwas zu geben und zu sagen haben, werden kaum noch wahrgenommen. Der Druck auf den Einzelnen wächst enorm. Ein Lebenslauf mit Lücke ist bereits verdächtig. Fehler und Schwächen zuzugestehen ist, wie gesagt, nicht wirklich erwünscht. Und wenn dann mal etwas an die Oberfläche kommt, ob berechtigt oder nicht, dann wird man fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Denken wir nur an Christian Wulff. Sicher keine Lichtgestalt, aber sicher auch nicht, das, was man aus ihn gemacht hat.

All das, was ich da beschrieben habe, gab es natürlich schon immer, aber noch nicht in diesen extremen Auswüchsen. In jedem Fall ist unser heutiger Predigttext höchst aktuell. Denn eine ganz ähnliche Situation gab es in der christlichen Gemeinde der Hafenstadt Korinth. Da gab es unterschiedliche Gruppen, man könnte schon sagen Fanclubs, die verschiedene Personen glühend verehrten. Die einen verehrten einen Apollo, der anscheinend ein hochintellektueller und rhetorisch begabter Prediger war. Die anderen den Apostel Petrus, der als Gründergestalt der Kirche galt. Die anderen Paulus, der die Gemeinde gegründet hatte. Paulus hatte es in diesem Wettstreit allerdings nicht so leicht, da er eher ein unscheinbarer Typ war, dessen Predigten – zumindest äußerlich – auch nicht immer sehr ansprechend waren. Natürlich führten diese Parteibildungen auch zu Konflikten. Bislang kam es noch nicht zu Trennungen, aber die Einheit und Liebe im Geist war auch nicht mehr so recht zu erkennen. Doch was hat Paulus nun zu all dem zu sagen, zu diesem menschlich-allzu menschlichem Personenkult, den es damals gab und der heute extrem geworden ist?

Das Erste, was Paulus sagt, ist: Freunde, ihr verkennt die Wirklichkeit: Alles, was gut ist und Sinn macht, kommt von Gott. Er nimmt ein Beispiel aus der Botanik und sagt: Weder derjenige, der pflanzt noch derjenige, der begießt, ist die entscheidende Größe, sondern der, der wachsen lässt, und das ist Gott alleine. Es gibt bereits in der organischen Natur so etwas wie eine Lebenskraft – élan vital hat Henri Bergson sie genannt. Diese hat Gott in den Kosmos hineingesenkt, und ohne diese ist alles vergebens. Genauso ist es in unserem spirituellen Leben: Es gibt da einen göttlichen Lebensstrom, die Bibel spricht vom Heiligen Geist, und nur wenn wir dem Raum geben, dann kommt etwas zustande, das von Wert und Bedeutung ist. Diesen Lebensstrom können wir nicht machen, wir können uns nur für ihn offen halten, ihn fließen lassen, Gott darum bitten, sonst geht alles schief. Sie wissen doch wie das ist: Wenn Sie meinen, dass etwas jetzt passieren muss oder dass etwas gut werden muss und sie nun alle Kräfte mobilisieren, dann verkrampfen Sie sich oft und der Schuss geht nach hinten los. Wenn Sie jedoch gelassen sind, durchaus bereit zu denken, zu arbeiten und mitzumachen, aber mit einem gehörigen Schuss Gottvertrauen, dann geht oft alles wie von selbst und Sie entwickeln eine eigenen Weisheit für das Rechte zur rechten Zeit. Ich merke das oft bei meiner Zeitplanung. Da nehme ich mir z.B. zwei Stunden Zeit für eine Predigt, und dann merke ich, dass mir überhaupt nichts kommt und vielleicht sogar etwas anderes dran wäre. Wenn ich trotzdem meinen Zeitplan durchziehe, dann ist das oft frustrierend. Bin ich dagegen flexibel, mache ich etwas anderes, im Vertrauen darauf, dass Gott mir zur rechten Zeit schon die rechten Gedanken schenkt, dann läuft alles oft viel besser. Nicht „Machen“ ist die große Kunst – das führt oft nur zur Verkrampfung und Verknotung, sondern bewusstes und entkrampftes „Nicht-Machen“. Man könnte auch sagen: Heitere Gelassenheit. Gegenüber unserem modernen Perfektionierungswahn ist das äußerst entlastend und befreiend. Es hängt nicht alles an mir. So wichtig bin ich nicht. Ich bin der Kanal, in den Gott das Lebenswasser hineinschießen lassen will, aber ich bin nicht das Leben, nicht das Wasser.

Paulus sagt, dass Jesus der eigentliche Grund ist und bleiben muss: der Grund meines Lebens, der Grund unserer Gemeinde, der Grund der ganzen Kirche, ja letztlich der Grund der ganzen Welt. Das sagt er nicht einfach nur deshalb, weil sich das für einen christusgläubigen Menschen so gehört, sondern weil Jesus der ist, der uns diese Glaubenshaltung vorgelebt hat, und weil er gleichzeitig der ist, der uns als der durch seinen Geist unter uns Gegenwärtige zu dieser Lebenshaltung befreien will. Jesus war deshalb so vollkommen und strahlend, weil er es nicht sein wollte, sondern weil er sich ganz und gar Gott hingegeben hat. Jesus war kein Macher, kein Populist, kein Medienstar, sondern einer der ganz und gar auf die Macht des Lebens und der Liebe, eben auf Gott vertraut hat. Diese Haltung soll uns prägen, wenn wir uns mit Fug und Recht Christen nennen wollen.

Wo diese Haltung prägend ist, da weiß man die Gaben und Begabungen einzelner Menschen durchaus zu schätzen, aber man überschätzt sie nicht. Paulus ist da ganz realistisch. Er sagt: Natürlich, ich habe diese Gemeinde gegründet. Darauf bin ich auch stolz. Aber wenn es nicht Leute gegeben hätte, die dann weiterbauen, was wäre dann aus dieser Gemeinde geworden, vielleicht gäbe es sie schon gar nicht mehr. Deshalb sind die anderen genauso wichtig wie ich, und am wichtigsten ist eben der, der uns allen Liebe, Kraft und Weisheit zu solchem Tun gibt. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir auch heute in unseren Gemeinden und unserer Kirche die verschiedenen Begabungen als solche Ergänzungen sehen könnten. Aber das setzt eben voraus, dass man die eigenen Bedürfnisse und Wünsche nicht zu wichtig nimmt, sondern immer auch von der Gesamtheit und von Jesus Christus her denkt.

Ein Letztes: Paulus spricht davon, dass es durchaus unterschiedliche Werke gibt. Er sagt nicht, dass alles, was in der Kirche geschieht, gleich gut ist. Er spricht davon, dass das Feuer des Gerichts am Ende zeigen wird, ob jemand mit Gold und Silber oder mit Heu und Stroh auf das Fundament, das Jesus ist, gebaut hat. Er sagt nicht, dass daran unsere Rettung hängt, aber er sagt auch nicht, dass dies ohne Auswirkungen sein wird. Eines allerdings ist nach all dem, was ich gesagt habe, hoffentlich klar. Wenn Paulus von Werken spricht, die Qualität und Ewigkeitswert haben, dann meint er nicht das, was wir unter glänzendem Auftreten verstehen, sondern das, was aus der Tiefe kommt und in die Tiefe geht, das, was aus Gott stammt. Ich denke, dass es uns vielleicht guttut, uns bewusst zu machen, dass das letzte Urteil über unser Leben Gott hat und nicht bei den Medien, den Massen oder wem sonst auch immer liegt. Das, was zählt und Wert hat, kann im Stillen geschehen und unbemerkt von der Weltöffentlichkeit vor sich gehen. Eine kleine, in Liebe vollbrachte Handlung kann sich als etwas erweisen, das mehr Qualität und Wirkung hat als das letzte große Medienereignis. Denken wir nur an Jesus: Sein Leben endet menschlich gesehen als Katastrophe auf dem Abfallhaufen der Geschichte, eine von zigtausenden Hinrichtungen, die es damals im Imperium Romanum gab. Aber dieses Kreuz ist durch Gottes verwandelnde Kraft zum Ursprung eines weltumwandelnden Siegeszuges der Liebe und des Glaubens geworden. Vielleicht gibt uns dieses Bewusstsein Kraft, gegen den Strom zu schwimmen und das zu tun, was richtig ist, egal, ob es ankommt oder nicht.
Amen

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Aktuelles

31. Januar 2022

Jesu Weg und unser Weg - eine Pilger- und Wanderreise auf Jesu Spuren

Sie fahren gerne im klimatisierten Reisebus durch exotische Länder, um nur ab und zu für genau getaktete Besichtigungen auszusteigen? Sie finden es zu anstrengend, sich auch mal selbst auf den Weg zu machen, um im Gehen die Landschaft wirklich unter die Füße zu bekommen und neue Erfahrungen zu machen? Sie wollen alles sehen, was zu sehen ist, auch wenn Sie dabei kaum noch aufnahmefähig sind? Sie interessieren sich für Religion und Theologie, aber haben kein so großes Interesse daran, über Glaubensfragen mit sich selbst oder anderen Menschen ins Gespräch zu kommen? … Wenn das so ist, dann würde ich Ihnen von meiner Pilgerreise nach Israel/Palästina dringend abraten. Im anderen Fall kucken Sie sich mein Angebot gerne mal an …

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5. April 2021

„Das Café am Rande der Welt“ und die Geschichte von den Emmausjüngern

Gestern habe ich ein kleines Büchlein gelesen: „Das Café am Rande der Welt“, von John Strelecky. Ein Bestseller! Deutsche Erstausgabe: 2007. Ich halte die 54. Auflage aus dem letzten Jahr in der Hand. Beachtlich! Wieder mal ein Bestseller, den ich relativ spät gelesen habe.

Wie auch immer. Ich fand das Buch anregend. Nicht so sehr wegen seines Inhalts. Den habe ich einfach schon zu oft gehört und gelesen in der immer inflationärer werdenden Lebensratgeber-Literatur. Er heißt auf den Punkt gebracht: „Lebe dein Leben, und zwar jetzt – und lass dich nicht für blöd verkaufen von denen, die dir durch ihre oft materiellen Glücksverheißungen das Blaue vom Himmel versprechen.“ In diesem Buch wird übrigens sogar ein Kürzel für den Sinn des Lebens gefunden, und das heißt: „ZDE“ = „Zweck der Existenz“. Diesen ganz individuellen „ZDE“ gilt es zu finden und zu leben. Irgendwie natürlich alles richtig, aber auch ein wenig banal, vor allem: wenn das bloß immer so einfach wäre. Viktor Frankl, der bekannte Psychotherapeut aus Österreich, hat sich dieser Aufgabe übrigens schon vor längerer Zeit auf etwas höherem Niveau gestellt. Er nannte das Logotherapie. Eine Therapie, die den Menschen individuell helfen soll, ihren spezifischen Lebenssinn zu finden, also das, wofür sie da sind. Was wiederum eine der drei Fragen ist, mit denen der Besucher dieses eigenartigen Cafés auf der Speisekarte konkfrontiert wird: „Wozu bin ich da?“ Aber lassen wir das! Wie gesagt, was mir gefallen hat, ist weniger der Inhalt. Es ist vor allem die Rahmengeschichte, und die ist folgendermaßen konstruiert:

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13. März 2021

Wie Corona unsere Gesellschaft verändert

Ich erinnere mich noch an die Zeit vor einem Jahr. Frühling 2020! Damals war Corona für uns alle noch Neuland. Neben allem Schlimmen, das wir erlebten und wovor wir Angst hatten, gab es auch einen leisen Optimismus. Viele hofften, dass durch die Pandemie auch Positives in Gang kommen würde. Covid-19 galt als Augenöffner. Der „Brennglaseffekt“ war in aller Munde. Bernd Ulrich schrieb in der Zeit (20.05.):
„Corona ist nicht die Mutter aller Krisen, noch weniger stellt sie die größte Gefahr für die Menschheit dar (das ist und bleibt das ölologische Desaster, das sich mit wachsendem Tempo vollzieht), Corona ist aber vielleicht die aufklärerischste Krise, weil sie die Welt so verlangsamt hat, dass man ihre Bewegungsgesetze besser verstehen kann.“

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