Karfreitag in Zeiten von Corona

Tatsächlich muss man im Augenblick nicht viel Mühe aufwenden, um die dunklen Seiten des Lebens in Erinnerung zu rufen: Menschen, die bei uns und woanders in der Welt um ihr Leben bangen; die beklemmende Situation all derer, die gerade jetzt jemand bräuchten, aber isoliert bleiben müssen; die katastrophalen Verhältnisse in Italien, Spanien und den USA, all das ist uns überaus präsent. Und natürlich beschäftigen uns immer mehr auch die Folgeschäden von Covid-19. Wir denken an unsere Wirtschaft und was aus ihr werden soll, an die vielen Menschen, für die diese Frage bereits jetzt eine Existenzfrage ist. Und wenn wir noch weiter denken wollen, dann können wir uns mit der Frage beunruhigen, ob aus der Coronakrise auf der nationalen und internationalen Ebene größere Solidarität und Menschlichkeit erwachsen, ein Überdenken so mancher Fehlentwicklungen, oder ob der Schuss eher nach hinten losgeht.

Eins ist jedenfalls offensichtlich: Ganz vielen wird bewusst, wie zerbrechlich und hinfällig unser Leben ist, trotz aller Sicherungsversuche. Es ist eine eigenartige, manchmal vielleicht sogar leicht apokalyptische Stimmung, die nach uns greift – und dies trotz herrlicher Frühlingssonne.

Wenn Christen in dieser Situation auf das Kreuz Jesu blicken, dann sehen sie dort nicht nur einen leidenden und sterbenden Menschen, sondern sie erkennen in diesem Menschen den Gott, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist. „Gott war in Christus.“ Nicht um uns anzuklagen und zu verdammen, sondern um in einer letzten Solidarität an unserer Seite zu stehen. In Christus hat Gott unser Menschsein in allen Höhen und Tiefen durchgemacht. Als dieser Gott, als der mitleidende und freundlich uns zugewandte, ist er in jeder Lebenssituation, auch im größten Leiden für uns da. Nicht um das Leid auszuradieren, sondern um es mit uns auszuhalten und heilsam zu verwandeln. Der gekreuzigte Jesus gibt uns keine theoretische Antwort auf die Frage, warum Gott all das Leid in dieser Welt zulässt. Aber er hilft uns, nicht aufzugeben und daran zu wachsen. Ich darf es glauben: Gott ist in jeder Situation für mich da. Er lässt mich nicht hängen. Ich darf ihn anrufen. Er will mir den jeweils nächsten Schritt zeigen und lässt mich auch dort nicht fallen, wo mir alles entgleitet. Nicht jeder kann das glauben. Aber vielleicht können die, die es glauben, diese Liebe verkörpern, indem sie für andere da sind, gerade jetzt. An Ideen, was dies auch in der Coronakrise bedeuten kann, fehlt es ja nicht.

Die Tatsache, dass Gott zutiefst solidarisch mit uns geworden ist, dass er sich ganz und gar auf unsere Seite gestellt hat, bedeutet freilich nicht, dass Gott alles Dunkle und Schwierige unter den Teppich kehrt. Jesus ist keines natürlichen Todes gestorben. Er ist gestorben, weil Menschen ihn aus Machtgier, Tücke und Gleichgültigkeit loshaben wollten. Wenn Jesus auf dieses Panoptikum menschlicher Bosheit nicht mit Gegengewalt, Hass und Vergeltung reagiert, sondern mit Liebe und Vergebung, dann bedeutet dies nicht, dass Gott all unsere Lieblosigkeit nicht zutiefst schmerzt. So sehr Gott deshalb will, dass wir ganz fest an seine Liebe zu uns glauben, so sehr wünscht er sich auch, dass wir im Bewusstsein dieser Liebe immer tiefer an der Lieblosigkeit, Selbstsucht und Ungerechtigkeit in uns und in dieser Welt leiden. Nicht weil Leiden an sich eine Tugend ist, sondern weil aus diesem Leiden die Leidenschaft erwachsen kann, neue Wege einzuschlagen. Gerade die Coronakrise kann uns bewusst machen, wie viel in unserer Welt falsch läuft. Natürlich ist Covid-19 überall schlimm, und doch ist es auch dieses Mal leider wieder so, dass diejenigen, die in unserer Welt sowieso schon auf der Schattenseite stehen, am schlimmsten leiden. Die göttliche Liebe, die sich uns an Karfreitag offenbart, ist jedenfalls alles andere als harmlos. Sie ist eine Ermutigung, das Dunkle in unserer Welt noch tiefer wahrzunehmen, und dafür zu beten und zu arbeiten, dass Menschen neu Hoffnung und Lebensmut bekommen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten und ermutigenden Karfreitag.

Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. (2. Kor. 5,19)

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Aktuelles

31. Januar 2022

Jesu Weg und unser Weg - eine Pilger- und Wanderreise auf Jesu Spuren

Sie fahren gerne im klimatisierten Reisebus durch exotische Länder, um nur ab und zu für genau getaktete Besichtigungen auszusteigen? Sie finden es zu anstrengend, sich auch mal selbst auf den Weg zu machen, um im Gehen die Landschaft wirklich unter die Füße zu bekommen und neue Erfahrungen zu machen? Sie wollen alles sehen, was zu sehen ist, auch wenn Sie dabei kaum noch aufnahmefähig sind? Sie interessieren sich für Religion und Theologie, aber haben kein so großes Interesse daran, über Glaubensfragen mit sich selbst oder anderen Menschen ins Gespräch zu kommen? … Wenn das so ist, dann würde ich Ihnen von meiner Pilgerreise nach Israel/Palästina dringend abraten. Im anderen Fall kucken Sie sich mein Angebot gerne mal an …

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5. April 2021

„Das Café am Rande der Welt“ und die Geschichte von den Emmausjüngern

Gestern habe ich ein kleines Büchlein gelesen: „Das Café am Rande der Welt“, von John Strelecky. Ein Bestseller! Deutsche Erstausgabe: 2007. Ich halte die 54. Auflage aus dem letzten Jahr in der Hand. Beachtlich! Wieder mal ein Bestseller, den ich relativ spät gelesen habe.

Wie auch immer. Ich fand das Buch anregend. Nicht so sehr wegen seines Inhalts. Den habe ich einfach schon zu oft gehört und gelesen in der immer inflationärer werdenden Lebensratgeber-Literatur. Er heißt auf den Punkt gebracht: „Lebe dein Leben, und zwar jetzt – und lass dich nicht für blöd verkaufen von denen, die dir durch ihre oft materiellen Glücksverheißungen das Blaue vom Himmel versprechen.“ In diesem Buch wird übrigens sogar ein Kürzel für den Sinn des Lebens gefunden, und das heißt: „ZDE“ = „Zweck der Existenz“. Diesen ganz individuellen „ZDE“ gilt es zu finden und zu leben. Irgendwie natürlich alles richtig, aber auch ein wenig banal, vor allem: wenn das bloß immer so einfach wäre. Viktor Frankl, der bekannte Psychotherapeut aus Österreich, hat sich dieser Aufgabe übrigens schon vor längerer Zeit auf etwas höherem Niveau gestellt. Er nannte das Logotherapie. Eine Therapie, die den Menschen individuell helfen soll, ihren spezifischen Lebenssinn zu finden, also das, wofür sie da sind. Was wiederum eine der drei Fragen ist, mit denen der Besucher dieses eigenartigen Cafés auf der Speisekarte konkfrontiert wird: „Wozu bin ich da?“ Aber lassen wir das! Wie gesagt, was mir gefallen hat, ist weniger der Inhalt. Es ist vor allem die Rahmengeschichte, und die ist folgendermaßen konstruiert:

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13. März 2021

Wie Corona unsere Gesellschaft verändert

Ich erinnere mich noch an die Zeit vor einem Jahr. Frühling 2020! Damals war Corona für uns alle noch Neuland. Neben allem Schlimmen, das wir erlebten und wovor wir Angst hatten, gab es auch einen leisen Optimismus. Viele hofften, dass durch die Pandemie auch Positives in Gang kommen würde. Covid-19 galt als Augenöffner. Der „Brennglaseffekt“ war in aller Munde. Bernd Ulrich schrieb in der Zeit (20.05.):
„Corona ist nicht die Mutter aller Krisen, noch weniger stellt sie die größte Gefahr für die Menschheit dar (das ist und bleibt das ölologische Desaster, das sich mit wachsendem Tempo vollzieht), Corona ist aber vielleicht die aufklärerischste Krise, weil sie die Welt so verlangsamt hat, dass man ihre Bewegungsgesetze besser verstehen kann.“

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