Ostern

1 Korinther 15,20-28
20 Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. 21 Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. 22 Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. 23 Ein jeder aber in der für ihn bestimmten Ordnung: als Erstling Christus; danach die Christus angehören, wenn er kommen wird; 24 danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er vernichtet hat alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt. 25 Denn er muss herrschen, bis Gott »alle Feinde unter seine Füße gelegt hat« (Psalm 110,1). 26 Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. 27 Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. 28 Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott sei alles in allem.

Es gibt singuläre Ereignisse, durch die alles anders wird, radikal anders!

Ich denke an die Entstehung des Lebens. Die erste Zelle, wie immer sie auch möglich wurde, in dem Augenblick, wo sie das Licht der Welt erblickte, wo sie in irgendeinem Winkel dieser Welt, vermutlich in der Untiefe irgendeines Ozeans zu leben und zu pulsieren begann, hat eine Explosion des Lebens ausgelöst, ohne die es auch uns Menschen nicht gäbe.

Ein anderes singuläres Ereignis war der Moment, in dem der Mensch, der vorher noch kein wirklicher Mensch war, sich in seinem Geist das erste Mal selbst betrachten konnte, sich wahrnehmen konnte, Selbstbewusstsein errang. Der Mensch, wie wir ihn kennen war, geboren. Der Mensch, der, weil er nun um sich weiß, sein Leben in Freiheit gestalten kann. Auch dieses Ereignis, dieser Durchbruch hat eine Explosion ausgelöst: eine Explosion des Bewusstseins, die diese Welt im Guten wie im Schlechten radikal verändert hat.

Das, was Paulus in unserem heutigen Predigttext beschreibt, kommt mir ganz ähnlich vor. Auch wenn er die Auferstehung Jesu nicht als ein biologisches oder evolutionäres Phänomen versteht, so behauptet er doch, dass mit dem, was mit Jesus am Ostermorgen passiert ist, ein radikal neuer Anfang in der menschlichen Geschichte, ja in der Schöpfung selbst geschehen ist, und das durch Gott. Der auferweckte Jesus ist die Keimzelle der neuen Schöpfung, oder sagen wir besser: der von Gott erneuerten, der von Gott radikal erlösten und transformierten Schöpfung.

Die Bibel weiß darum, dass die Schöpfung, in der wir leben, nicht so ist, wie sie sein soll. Sie geht zwar auf Gottes Schaffen und Wirken zurück, aber nicht alles kommt von Gott. Gott hat der Schöpfung auch die Möglichkeit eingeräumt, eigene Wege zu gehen. Deshalb gibt es neben unendlich Schönem und Gutem auch viel Schreckliches: Leid, Vergänglichkeit und Tod. Auch der Mensch ist nicht so, wie er sein soll. Er wurde von Gott geschaffen als Beziehungswesen. Aus der Liebe Gottes heraus sollte er leben, sollte er vor allem lieben, sollte er lernen, sich selbst, andere und die ganze Welt zu lieben. Doch weil er an der grenzenlosen Liebe Gottes zweifelt und meint, selbst seines Glückes Schmied sein zu müssen, dreht sich nun sein ganzes Sorgen und Denken nur noch um ihn selbst, und die Beziehungen, die ihn lebendig machen könnten, werden ihm nicht selten zum Fallstrick.
Die ganze Bibel ist ein einziger Schrei nach Erlösung, danach, dass Gott den Menschen und die Schöpfung so radikal verwandeln möge, dass „der Tod nicht mehr sei, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz“ (Offb 21,4). Und nun sagt Paulus: Gott hat auf den Schrei reagiert. Die Erlösung hat begonnen. Der auferweckte Jesus Christus ist der „Erstling unter denen, die entschlafen sind.“ Er ist die Keimzelle der neuen Schöpfung. An ihm kann man erkennen, wie es sein wird, wenn Gott den Kosmos erlösen wird, und er selbst ist derjenige, durch den Gott diese Erlösung, nach der wir uns alle sehnen, realisieren wird.

Wenn wir uns die Schöpfung in ihrem noch unerlösten Zustand als Raupe vorstellen, und die erlöste Schöpfung als Schmetterling, dann wäre Jesus der erste, an dem diese Schmetterlingsexistenz bereits Wirklichkeit geworden ist.

Ich weiß, das alles klingt ziemlich verrückt, und natürlich ist es unmöglich, dies in ein paar Sätzen so zu entfalten, wie es eigentlich notwendig wäre. Aber ein wenig will ich es zumindest versuchen.

Jesus ist der neue Mensch, der Mensch, wie Gott ihn gedacht und gewollt hat. Dies zeigt sich vor allem darin, dass Jesus sein ganzes Leben lang aus der Liebe Gottes heraus gelebt hat. Gott war das Zentrum seines Lebens, und die „mystische“ Verankerung in diesem Zentrum hat ihn dazu fähig gemacht, grenzenlos zu lieben, sich selbst, andere, die ganze Schöpfung. Selbst dort, wo man ihm die kalte Schulter gezeigt hat, wo man ihn über die Klinge springen ließ, wo man ihn gequält und erniedrigt hat, hat er nicht aufgehört die zu lieben, die ihm das antaten. So betet er am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ Indem Gott diesen Jesus auferweckt, sich zu ihm bekennt, sagt er im Grunde genommen: „Dieser eine kommt von mir. Ich selbst war in ihm präsent. So wie bei Jesus stelle ich mir Menschsein vor! Deshalb soll dieser eine als der auferweckte und lebendige Christus alle anderen Menschen auch zu dieser Liebe befähigen. Durch ihn soll meine Liebe auf alle ausströmen, damit alle mich als den gütigen und liebenden Gott erkennen und im Glauben an ihn und in seiner Nachfolge ebenfalls zu neuen Menschen werden.“

In den Osterikonen der orthodoxen Kirchen wird dies wunderbar dargestellt. Der auferstandene Christus packt Adam und Eva, die symbolisch für die unerlöste Menschheit stehen, an der Hand und führt sie seinem Gott entgegen, nimmt sie hinein in diese Bewegung, die nach oben führt, hinein in Gottes neue Welt.

Alles nur Theorie? Nein, für Christen ist das erfahrbare Wirklichkeit. Christen und Christinnen glauben im Normalfall nicht deshalb an die Auferstehung, weil man sie beweisen könnte. Das kann man natürlich nicht, obwohl es durchaus gute Gründe dafür gibt, sie nicht zu schnell ins Reich der Märlein zu verbannen. Nein, sie glauben deshalb an die Auferstehung, weil sie etwas von der Wirklichkeit des auferweckten Christus in ihrem Leben erfahren haben. Vielleicht haben sie ihn in auswegloser Situation angerufen, durften erleben, wie er seine Hand nach ihnen ausgestreckt hat, so dass sie etwas von der Liebe Gottes gespürt haben. Vielleicht haben sie mächtiges Glück erlebt und darin ihn als den Geber aller guten Gaben erkannt. Vielleicht war es ein atemberaubender Zufall, der im Kontext einer bestimmten Situation nur noch als göttliche Fügung begriffen werden konnte. Die Medien, die der Auferstandene benutzt, um Menschen seine Liebe zu zeigen, sind grenzenlos, aber dort, wo er sich zu erkennen gibt, spüren wir in allem und durch alles hindurch sein Du, das Du eines liebenden und uns freundlich anblickenden Gottes. Auf diese Weise, durch diese Liebe lernen wir selbst zu lieben, uns selbst, andere, die Natur. Wir merken natürlich auch immer wieder, wie viele Widerstände es in und um uns herum gibt, aber wir spüren auch, dass dieser Christus uns in unserem Kampf nicht loslassen wird, bis wir als seine Schwestern und Brüder mit ihm am Ziel sind.

Ein letzter Gedanke: Ich sprach vollmundig von einer Erlösung des ganzen Kosmos, die durch Jesus Christus eingeläutet wird. Das Interessante ist: Die ersten Zeugen und Zeuginnen des Auferstandenen sahen nach dem Zeugnis der Evangelien keinen Geist, sondern Jesus in einer neuen verwandelten Form von Leiblichkeit, einer Leiblichkeit, die die ungeheure Leichtigkeit des Seins atmet. Dahin geht es also! Das ist das Endziel Gottes mit seiner Schöpfung: Nicht ihre Auslöschung, sondern ihre Verwandlung in eine neue, in eine erneuerte Schöpfung. Das Leben in dieser Welt, das wir leben, ist deshalb nicht sinnlos. Nichts soll verloren gehen. Die ganze Schöpfung, Materie, Pflanzen und Tiere eingeschlossen, sollen verwandelt werden, sollen mit Gott und miteinander versöhnt werden, damit am Ende Gott aus allem herausleuchtet. Natürlich: All das entzieht sich unserer Vorstellung. Ein besseres Bild als das bereits gebrauchte, also das der Verwandlung der Raupe in den Schmetterling fällt mir nicht ein. Aber ich finde es wunderbar, dass der Gott, der sich uns in Jesus Christus offenbart hat, kein weltloser, leib- und schöpfungsfeindlicher Gott ist, sondern einer, der das Werk seiner Hände nicht loslässt und nicht ruht, bis alles erlöst ist. Am Ende steht nicht die apokalyptische Katastrohe, sondern die glückselige, durch Gott bewirkte Verwandlung des Kosmos. Sowie durch die Existenz der ersten Zelle das Leben explodiert ist, so wird durch den auferweckten Jesus Christus das glückselige und erfüllte Leben „explodieren“. Hoffnung pur! Und eine wichtige Botschaft, wenn wir an die ökologische Herausforderung denken. Denn wer so denkt und glaubt, der kann nicht anders, als sich mit wachem ökologischen Bewusstsein für diese von Gott geliebte Schöpfung einsetzen.

Jesus, der Erstling der neuen Schöpfung. Wir, die Zeugen und Vorboten dieser Schöpfung. Die Welt und ihre Menschen, dazu berufen, sich vom Strom des Lebens und der Liebe mitreißen zu lassen. Das ist Ostern!

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Aktuelles

31. Januar 2022

Jesu Weg und unser Weg - eine Pilger- und Wanderreise auf Jesu Spuren

Sie fahren gerne im klimatisierten Reisebus durch exotische Länder, um nur ab und zu für genau getaktete Besichtigungen auszusteigen? Sie finden es zu anstrengend, sich auch mal selbst auf den Weg zu machen, um im Gehen die Landschaft wirklich unter die Füße zu bekommen und neue Erfahrungen zu machen? Sie wollen alles sehen, was zu sehen ist, auch wenn Sie dabei kaum noch aufnahmefähig sind? Sie interessieren sich für Religion und Theologie, aber haben kein so großes Interesse daran, über Glaubensfragen mit sich selbst oder anderen Menschen ins Gespräch zu kommen? … Wenn das so ist, dann würde ich Ihnen von meiner Pilgerreise nach Israel/Palästina dringend abraten. Im anderen Fall kucken Sie sich mein Angebot gerne mal an …

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5. April 2021

„Das Café am Rande der Welt“ und die Geschichte von den Emmausjüngern

Gestern habe ich ein kleines Büchlein gelesen: „Das Café am Rande der Welt“, von John Strelecky. Ein Bestseller! Deutsche Erstausgabe: 2007. Ich halte die 54. Auflage aus dem letzten Jahr in der Hand. Beachtlich! Wieder mal ein Bestseller, den ich relativ spät gelesen habe.

Wie auch immer. Ich fand das Buch anregend. Nicht so sehr wegen seines Inhalts. Den habe ich einfach schon zu oft gehört und gelesen in der immer inflationärer werdenden Lebensratgeber-Literatur. Er heißt auf den Punkt gebracht: „Lebe dein Leben, und zwar jetzt – und lass dich nicht für blöd verkaufen von denen, die dir durch ihre oft materiellen Glücksverheißungen das Blaue vom Himmel versprechen.“ In diesem Buch wird übrigens sogar ein Kürzel für den Sinn des Lebens gefunden, und das heißt: „ZDE“ = „Zweck der Existenz“. Diesen ganz individuellen „ZDE“ gilt es zu finden und zu leben. Irgendwie natürlich alles richtig, aber auch ein wenig banal, vor allem: wenn das bloß immer so einfach wäre. Viktor Frankl, der bekannte Psychotherapeut aus Österreich, hat sich dieser Aufgabe übrigens schon vor längerer Zeit auf etwas höherem Niveau gestellt. Er nannte das Logotherapie. Eine Therapie, die den Menschen individuell helfen soll, ihren spezifischen Lebenssinn zu finden, also das, wofür sie da sind. Was wiederum eine der drei Fragen ist, mit denen der Besucher dieses eigenartigen Cafés auf der Speisekarte konkfrontiert wird: „Wozu bin ich da?“ Aber lassen wir das! Wie gesagt, was mir gefallen hat, ist weniger der Inhalt. Es ist vor allem die Rahmengeschichte, und die ist folgendermaßen konstruiert:

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13. März 2021

Wie Corona unsere Gesellschaft verändert

Ich erinnere mich noch an die Zeit vor einem Jahr. Frühling 2020! Damals war Corona für uns alle noch Neuland. Neben allem Schlimmen, das wir erlebten und wovor wir Angst hatten, gab es auch einen leisen Optimismus. Viele hofften, dass durch die Pandemie auch Positives in Gang kommen würde. Covid-19 galt als Augenöffner. Der „Brennglaseffekt“ war in aller Munde. Bernd Ulrich schrieb in der Zeit (20.05.):
„Corona ist nicht die Mutter aller Krisen, noch weniger stellt sie die größte Gefahr für die Menschheit dar (das ist und bleibt das ölologische Desaster, das sich mit wachsendem Tempo vollzieht), Corona ist aber vielleicht die aufklärerischste Krise, weil sie die Welt so verlangsamt hat, dass man ihre Bewegungsgesetze besser verstehen kann.“

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