Jesaja 50,4ff: Der Gottesknecht

Liebe Gemeinde!

Manchmal frage ich mich, ob die Welt um mich herum zu einem Irrenhaus geworden ist. Ist das, was ich da so erlebe und täglich in der Zeitung lesen muss, eine etwas skurrile Komödie oder eine mit viel Leid verbundene Tragödie? Gibt es irgendeine Hoffnung auf Besserung? Oder gehen wir langsam auf den apokalyptischen Abgrund zu?
Ich weiß, dass es neben denen, die das alles irgendwie noch für normal halten, nicht wenige gibt, die ähnlich empfinden wie ich. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Gelingt es uns, an der Hoffnung festhalten? Glauben wir immer noch, dass am Ende das Licht siegen wird? Oder werden auch wir langsam von einer resignativen und depressiven Stimmung erfasst, sodass alles immer mehr mit einem Grauschleier überzogen wird? In all dem steckt auch die Frage: Haben wir als Christen und Christinnen der Welt noch etwas zu geben, eine echte Hoffnungsperspektive?
In unserer Kirche gibt es für jeden Sonntag einen empfohlenen Predigttext. Als ich den für den heutigen Sonntag gelesen habe, habe ich mir gedacht: Der passt, der kann uns vielleicht wirklich neue Hoffnungsperspektiven eröffnen. Ich lese ihn mal vor: Jes. 50, 4-10:

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen. 10 Wer ist unter euch, der den HERRN fürchtet, der auf die Stimme seines Knechts hört? Wer im Finstern wandelt und wem kein Licht scheint, der hoffe auf den Namen des HERRN und verlasse sich auf seinen Gott!

Was hören wir? Wir hören die Stimme eines Menschen, der sich in einer anscheinend ähnlichen düsteren und vertrackten Situation befindet. Er lebt in der Epoche des babylonischen Exils, wo ein großer Teil Israels nach Babylonien verschleppt wurde und man nach 70 Jahren zwar zurückkehren durfte, aber immer noch alles recht düster und hoffnungslos war. Jerusalem lag in Trümmern, der Tempel war zerstört, die Wirtschaft am Boden, so dass man sich nicht vorstellen konnte, dass hier nochmal Freudengesänge erklingen werden. Was war die Botschaft dieses Menschen, den man oft als Gottesknecht bezeichnet, weil man ihm so etwas wie den Idealtyp des frommen, Gott hingegebenen Menschen sah. Hatte er eine Botschaft der Hoffnung?
Ja, die hatte er, und die tönt aus fast allen Worten heraus, die er und seine Schüler verkündigten: Gott wird sich seinem Volk neu zuwenden. Er wird Wasserströme senden, die die Wüste wieder fruchtbar machen. Blühende Landschaften sozusagen. Gott flüstert seinem Propheten immer wieder ins Ohr: „Mir ist nichts unmöglich. Mein Arm ist nicht kurz geworden, dass er nicht mehr helfen könnte. Vertrau mir und ermutige andere zu diesem Vertrauen.“ Gott sagt nicht: So und so sieht die konkrete Lösung für eure Probleme aus. Er vermittelt kein Patentrezept, keinen Koalitionsvertrag, der alle Probleme löst. Es bleibt bei großartigen Hoffnungsbildern. Aber in allen Verheißungen steckt die Zuversicht: Wenn ihr Menschen euch auf mich einlasst, mir vertraut, dann geht es Schritt für Schritt in eine gute Richtung.

Wird man uns in unserer Zeit diese Hoffnung abnehmen, zumal sie ja anscheinend voraussetzt, dass man sich vertrauensvoll auf diesen Gott einlässt. Ganz sicher nicht, wenn wir nur fromm daherreden. Diese Hoffnung muss irgendwie in unserem Leben Gestalt finden. Mein Lieblingsaphoristiker, Elazar BenYoetz, schreibt einmal: „Was du darstellen willst, musst du auch verkörpern können. Was du nicht beseelst, kann ich nicht beherzigen. Protestiere nicht, deine Erscheinung sei dein Protest. Du musst werden, denn du bist erwartet.“ Verkörpern bedeutet nicht, dass wir uns vollkommener geben als wir sind. Nein, wir dürfen ehrlich zu unseren Zweifeln und zu unserem Unglauben stehen, aber wir sollten den Menschen klarmachen können, wie es trotz aller Zweifel, trotz allen Unglaubens, der ja auch in uns steckt, immer wieder zur Hoffnung kommen kann. Wir könnte das nach unserem Text gehen? Wie können wir hoffnungsvolle Menschen werden, die Hoffnung um sich verbreiten?

Ich habe mal ein wenig Statistik betrieben. In den ersten Versen ist zweimal vom Reden die Rede und viermal vom Hören. Anders ausgedrückt: Wir sollten doppelt so viel hören wie reden, doppelt so viel empfangen als geben, doppelt so viel passiv als aktiv sein. Die Kunst, die es zu lernen gibt, die Kunst, die wir anderen empfehlen sollen, ist die Kunst, ganz und gar Empfangende zu werden. Jeden Morgen neu hören, sich neu ausrichten, der heilenden Stimme Gottes Raum geben. So entsteht Hoffnung.
Das ist nicht einfach, selbst am Morgen nicht, wo der Tag noch jung und frisch ist. Schon da ertönen viele Stimmen in mir, Gedanken der Sorge, des Stresses, eigene und fremde Erwartungen. Es geht deshalb darum, diesen Stimmen nicht die Oberhand zu geben, sondern erstmal bei mir selbst zu sein und bei Gott. Vielleicht hilft dazu in den Körper zu kommen, tief zu atmen, sich wahrzunehmen. Dann den Blick auf Gott oder Jesus zu richten. Du bist da. Sich das bewusst zu machen. Vielleicht eine Anrufung immer wieder zu wiederholen: Gott, mein Licht, mein Fels, mein Liebhaber. In Gott zur Ruhe zu kommen, und in all dem das Hören zu lernen, das Empfangen. Gott, was willst du mir sagen? Was muss passieren, dass ich heute ein hoffender ein zuversichtlicher Mensch bin?

Es kann sein, dass Gott dann in der Stille zu mir spricht: (…) Aber oft spricht Gott auch durch die Erfahrungen, die ich mitten im Tag mache, durch die Geschenke und Herausforderungen, die er mir zukommen lässt, die neuen Lebensmöglichkeiten, die er mir zuspielt. Das können positive Widerfahrnisse sein. Es kommt mir etwas zu, von dem ich spüre, dass ich ihm Raum geben soll. Das können auch Irritationen sein, die aber heilsam werden können. (…) Durch all dieses göttliche Reden mitten im Alltag werde ich neu ausgerichtet, erwächst Hoffnung. Aber wie gesagt: Voraussetzung ist das Hören-Wollen, das mit Gott-Rechnen, das Ihm-Raum-Geben. Deshalb ist die Einstimmung am Morgen so wichtig.

Was wird geschehen, wenn wir Gott so verkörpern, wenn wir wie eine offene Schale sind, die symbolisch dafür steht, dass wir Menschen nur Leben haben, wenn wir das Leben aktiv von Gott empfangen? Wird man darauf reagieren? Wird man uns folgen? Wird man sagen: Ja, so könnte ein Leben aussehen, das der Hoffnungslosigkeit widersteht und mutig in die Zukunft geht? Ich bin davon überzeugt, dass dies geschehen wird. …

Es wird aber auch das passieren, was in unserem Text beschrieben wird. Wir werden Widerstand erleben, weil Menschen sich durch eine solche Lebensweise in ihrem bisherigen Selbstverständnis bedroht fühlen. Man wird uns kritisieren, man wird uns verleumden, man wird uns ausgrenzen. Wie werden wird darauf reagieren? Ich glaube, dass die Art, wie wir darauf reagieren, die eigentliche Bewährungsprobe unserer Hoffnung ist.

Der Gottesknecht sagt: Ich bin nicht ungehorsam geworden, nicht zurückgewichen, selbst, wo ich körperlich bedrängt wurde. Ich habe das ertragen. Ich habe mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein. Das ist ein gewagtes Bild: Das Angesicht hart machen wie einen Kieselstein. Im Klartext: Er hast sich nicht verunsichern lassen. Er ist seinen Weg entschlossen weiter gegangen, trotz Widerstand.

Haben wir das schon gelernt? Vor einiger Zeit bin ich aus einer Veranstaltung herausgegangen, wo ich einen Vortrag hielt und nachher das Gefühl hatte, dass fast alle gegen mich waren. Das hat mich schon verunsichert. Ich habe mich gefragt: Was hast du falsch gemacht? Und natürlich: Man kann immer etwas falsch oder besser machen. Was aber ist, wenn Widerstand manchmal einfach auch der Preis der Nachfolge ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir zu sehr auf Harmonie gebürstet sind, dass wir deshalb auch zu schnell zurückweichen, statt uns kurz zu schütteln und weiterzugehen. Warum sage ich mir in solchen Situationen nicht wie der Gottesknecht: „Der Herr hilft mir! Ich werde nicht zuschanden werden.“ Ich hatte jedenfalls, als ich das mit Christus besprochen habe, das Gefühl, dass er zu mir sagt: „Ganz ehrlich, so schlecht war das nun auch nicht. Warum meinst du eigentlich immer, dass es dir in meiner Nachfolge besser ergehen soll als mir.“

Ich sage das ein wenig zaghaft, denn ich will nicht missverstanden werden. Ich kenne nämlich auch viele Christen, die selbstgerecht ihren Weg als den einzig richtigen propagieren, fundamentalistisch und engstirnig werden, sodass die erfahrene Gegnerschaft etwas anderes ist als Teilhaben am Leiden Christi, sondern berechtigte Reaktion auf Enge und Engstirnigkeit. Die Kunst ist wohl: das Angesicht in bestimmten Situationen hart wie einen Kieselstein zu machen, konsequent zu bleiben, und doch nicht hartherzig zu werden, auch nicht gegenüber den eigenen Gegnern, und natürlich auch nicht gegenüber nerechtigter Kritik.

Der Einzige, der dies perfekt gelebt hat, ist der Gottesknecht Jesus Christus. Er hat seinen Weg nicht verleugnet. Er ist nicht zurückgewichen, bis zum bitteren Ende, aber die Hand zu seinen Peinigern blieb ausgestreckt, bis zum Ende: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Ich habe am Anfang gefragt, was wir dieser Welt geben können. Wir können dieser Welt unser Leben geben, ein Leben, das in aller Unvollkommenheit von sich weg weist auf den Gott, der die Quelle unseren Lebens und der Urgrund aller Hoffnung ist, der einzigen Hoffnung für diese verrückt gewordene Menschheit. Christus ist uns vorausgegangen: Er, in dem Gott ganz und gar da war, hat die Wahrheit Gottes bis zum Ende bezeugt, in einer einzigartigen Kombination eines aufrechten Ganges und grenzenloser Liebe. Gott hat seinen Weg besiegelt, indem er ihn auferweckt hat, sodass Ströme des Lebens und der Liebe in diese Welt geflossen sind. Wenn wir uns diesem Christus erlauben, sein Leben auch in uns zu leben, dann wird auch von unserem Leben ein Segensstrom ausgehen, trotz allem erfahrenen Widerstand, trotz unserer eigenen Schwäche. Wir wissen nicht, wie Gott es anstellen wird, dass am Ende der Widerstand gegen Gott zusammenbrechen und die Liebe endgültig siegen wird. Wüssten wir es, dann bräuchten wir nicht zu hoffen. Aber es wird so sein, ganz sicher, und ein wenig davon können wir schon jetzt erfahren, wenn wir erleben, dass dort, wo wir Gott vertrauen, mitten in der Wüste auf einmal etwas zu grünen und blühen beginnt.

Amen

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