Liebe Gemeinde!
In einer Zeit, wo sich viele Menschen verunsichert und hilflos fühlen, weil die inneren und äußeren Herausforderungen unsere Kräfte überfordern, ist die Sehnsucht nach innerer Stärke und Stabilität groß. Es gibt auch ein schönes neudeutsches Wort, dass diese Sehnsucht umschreibt, das Wort Resilienz. Menschen wollen widerstandsfähiger werden, resilienter, damit sie nichts so schnell umhaut.
Diese Sehnsucht nach innerer Stärke kann man auch in unserem heutigen Predigttext finden, denn schließlich bittet der Apostel Gott ja, dass er uns Kraft gebe, stark zu werden an dem inwendigen, an dem inneren Menschen. Eines freilich fällt auf: Es ist hier nicht davon die Rede, dass der Mensch aus eigener Kraft und Initiative innerlich stark werden kann. Manches heute kann ja den Eindruck erwecken, dass ich das schon hinkriege mit dem innerlich stark werden: Ein kleiner Entspannungskurs, der mir hoffentlich hilft, innerlich gelassener zu werden. Eine kleine Psychotherapie. Ein Coaching. Ein geregelter Tagesablauf, wo alles berücksichtigt ist, das mir hilft, im Lot zu bleiben, usw. usf. Hier dagegen wird Gott angerufen: Er soll uns innerlich stark machen. Anscheinend ist die Meinung, dass man echte innere Wandlung nicht machen kann. Sie wird von Gott geschenkt und gewirkt!
Richard Rohr, der bekannte Franziskanerpater, der im spirituellen Bereich auch in Deutschland recht bekannt ist, hat einmal einen Satz geschrieben, der recht simpel ist, aber bei mir tiefe Spuren hinterlassen hat. Er schreibt: Das Einzige, was uns wirklich bekehrt, ist das Leben, und mit Bekehrung meint er im Grunde genommen genau das, worum es auch in unserem Text geht: echte innere Wandlung, die dazu führt, dass wir innerlich klarer und kräftiger werden. Das können positive Erfahrungen sein, die uns das Leben zuspielt. Das können auch auf den ersten Blick negative Erfahrungen sein, wo ich dann im Nachhinein aber doch merke, dass sie mich vorangebracht haben. In einer Hinsicht muss man den Satz von Rohr aber auf jeden Fall ergänzen. Nichts in diesem Leben bekehrt und verändert uns automatisch. Es verändert uns nur dann, wenn wir zu einer inneren, einer positiven Haltung finden, die das, was uns passiert, gut interpretiert. Nichts verändert automatisch: Manchen begegnet viel Gutes, aber sie nehmen es nicht wahr. Manche erleben viele Krisen, aber sie werden dadurch nicht positiv verändert, sondern frustriert, deppresiv und hoffnungslos.
Was können wir also machen, wenn wir doch etwas machen können? Ich denke, wir können immer wieder zurücktreten, nachdenken, beten, um in guter Weise zu erkennen, was von uns gefordert ist, wie wir das, was wir erfahren, so verarbeiten können, so darauf reagieren können, dass wir nicht kurzschlüssig, sondern bewusst handeln. Denn zu schnelle Reaktionen verhindern oft, dass in uns die Resonanz entstehen kann, die hilfreich ist. Beim Aikido, einem Kampfsport zur Selbstverteidigung, der aus dem Schwertkampf hervorging, gibt es einen interessanten Bewegungsablauf: Bevor ich mit dem Schwert schneide, trete ich einen Schritt zurück, verweile einen Moment, bis ich dann gezielt in die Aktion komme und das Schwert, das hinter meinem Kopf auf dem Rücken ruht mit einer fokussierten Bewegung über den Kopf nach vorne führe. Das hat viel mit Achtsamkeit und Glauben zu tun. Nicht sofort reagieren, sondern kurz durchatmen, eine Reaktionspause einplanen. Sie kann der Spalt werden, in den der Geist Gottes eintritt und auf seine Weise wirkt: entweder so, dass er mich an einer (falschen) Aktion hindert, oder so, dass ich gezielt und fokussiert handle.
Der Apostel geht noch einen entscheidenden Schritt weiter: Er sagt nicht nur, dass ich mich für dieses Wirken Gottes in meinem Leben öffnen soll. Er spricht davon, dass Christus in unserem Herzen wohnen soll. Wer ist denn dieser Christus? Ich würde es so umschreiben: Dieser Christus ist Gottes Gegenwart in mir. Dieser Christus ist der Liebhaber meiner Seele, mein Seelenführer. In gewisser Weise könnte man auch sagen: Er ist mein höheres Selbst, weil er mich so sehr liebt, dass er von ganzem Herzen will, dass ich der werde, der ich sein soll. Er ist mir im Herzen mit einer unglaublichen Sympathie und Empathie nahe. Er hat eigentlich nur eine Botschaft, und die heißt: Ich liebe dich. Ich schätze dich. Ich will, dass du zu dir selbst kommst, dass du dich lieben lernst, dass du all das abtust, was dich kaputt macht. Wenn Menschen mir einreden wollen, dass ich Erfolg haben muss, um jemand zu sein, sagt er mir: Glaube ihnen nicht. Du bist auch wertvoll, wenn dir etwas nicht gelungen ist. Wenn ich mich überfordere und meine, allem und allen gerecht werden zu müssen, sagt er mir: Atme mal tief durch. Lass dich nicht stressen. Wenn ich verletzt wurde, dann will er mir helfen, mit meinen Verletzungen umzugehen. Wenn wir genau wissen wollen, wer dieser Seelenführer ist, dann schauen Sie auf Jesus Christus, wie er gelebt und Menschen begegnet ist, denn in Jesus von Nazareth hat dieser Christus menschliche Gestalt angenommen.
Vielleicht klingt das alles ein wenig abgehoben: Ein Christus, der mir so nah ist, der erfahrbar ist, der wirklich ist. Vielleicht empfinden Sie ess als etwas, das weit weg ist von ihrer Erfahrung. Aber vielleicht ist das Problem nicht, dass es nicht so ist, sondern ganz einfach, dass wir diese stille liebevolle Christusgegenwart einfach nur noch nicht genügend wahrgenommen haben, weil es in uns zu laut und hektisch ist. Deshalb bin ich ein großer Freund von Meditation. Meditation kann uns helfen, in die Gegenwart zu kommen, unser dauerndes Denken zur Ruhe bringen, damit wir langsam ein Gespür dafür bekommen, dass dieser Christus in uns für uns da ist, uns nahe. Mein Tipp: Atmen, und aus dem Atem ein Gebet machen, und dann die Resonanz wahrnehmen!
Was ist das Ziel von all dem? Das Ziel ist die Liebe: „dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“ Die Liebe beginnt bei mir: Christus lehrt mich, mich selbst zu lieben, indem er mich liebt. Aber wer wirklich von der Liebe dieses Christus erfüllt ist, der kann nicht anders als auch andere Menschen, ja die ganze Schöpfung als von diesem Christus durchdrungen und geliebt zu erkennen, und diese Liebe dann auch zu leben. Wenn ich erkenne, dass Christus mich trotz und meinen Schattenseiten liebt, dann kann ich das nicht wirklich erkennen, ohne wahrzunehmen, dass es auch bei meinem Mitmenschen so ist. Vielleicht habe ich gute Gründe, auf jemanden sauer zu sein. Das ist okay, und manchmal muss ich mir das auch sagen: Ja, das war nicht getan hat, was der oder die andere mir gesagt oder mit angetan hat. Auch Gott kehrt die Dinge nicht unter den Teppich, sondern ist wahrhaftig und gerecht. Aber wenn ich mir das erlaubt habe, dann wäre der zweite Schritt zu sagen: Sowie Gott mich annimmt trotz allem, so auch den anderen. Ich habe kein Recht, einen Menschen zu verurteilen. Ich will das tun, was ich tun kann, um in der Liebe zu bleiben, auf ihn zuzugehen, ihm eine Chance geben. Ich werde auf diese Weise nicht alle Menschen verändern. Aber andere und mich Gott anbefehlen, im Vertrauen darauf, dass Gott immer noch Möglichkeiten hat, die ich nicht habe, das ist nicht wenig. Letztlich ist die Liebe in christlicher Perspektive der Lackmustext für meinen Weg nach innen: Wenn er mich nicht liebender macht, dann läuft etwas falsch. Dann bin ich vielleicht doch nur auf dem Weg einer recht egozentrischen Wellnessspiritualität. Innere Stärke hat nichts mit Egozentrismus, Rechthaberei oder Starrsinn zu tun: Echte innere Stärke entsteht dort, wo ich mich der Liebe überlasse.
Am Ende spricht der Apostel von Erkenntnis, einer Erkenntnis, die alles übersteigt. Wir wollen ja die Welt erkennen, wir wollen wissen, was ihr innerstes Geheimnis ist, was den Kosmos im Innersten zusammenhält. Die Wissenschaft kann uns helfen zu erkennen, wie die Dinge funktionieren, die Kausalzusammenhänge. Sie ist darin sehr effizient und erfolgreich. Aber sie kann nur an die Grenze führen. Die Tiefe allen Seins erkennen wir nur, wenn wir selbst in die Tiefe gehen, in die eigene Tiefe, wenn wir dort tastend erkennen und erahnen, dass das Universum nur einen Grund hat: Liebe! Die Liebe eines Gottes, der will, dass etwas ist, der will, dass wir sind, der uns locken will, sich auf seine Liebe einzulassen, dass am Ende alles in Liebe vereint ist.
Ich lesen den Text nochmal. Er ist ja schließlich ein Gebet. Vielleicht möchten Sie ja innerlich in dieses Gebet einstimmen!
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen