Martin Buber als Bibeltheologe

Martin Buber als biblischer Theologe

Wenn man das Thema hört, dann denkt man vermutlich vor allem an Martin Bubers berühmt gewordene, in Zusammenarbeit mit Franz Rosenzweig erstellte Bibelübersetzung. Dennoch wäre es eine Verkürzung, Buber vor allem als Bibelübersetzer zu betrachten. Er ist insgesamt ein recht interessanter biblischer Theologe, und das, was ihn in dieser Hinsicht ausmacht, schlägt sich natürlich auch in der Art seiner Bibelübersetzung nieder.

Ich möchte zuerst skizzieren, was seinen generellen und ganz persönlichen Zugang zur Bibel ausmacht, seine spezielle “Methodik“, anschließend ein paar Themen aufgreifen, die bei ihm immer wieder eine Rolle spielen, um dann zum Schluss auf seine Bibelübersetzung einzugehen.

Erlauben Sie mir vorher aber noch eine biographische Anmerkung. Martin Buber war nicht von Anfang an der große Bibelinterpret. Am Anfang war es vor allem die Mystik und der Chassidismus, die Buber beschäftigt haben. Erst später, und das hängt durchaus mit seiner Dialogphilosophie zusammen, rückte die Bibel zunehmend in den Mittelpunkt seines Interesses. Vielleicht kann man es so sagen: Der Buber, der die Begegnung als das Entscheidende im menschlichen Leben erkannt hat, dem wird auch die Bibel als Buch, in dem die Begegnung zwischen Gott und Mensch und Mensch und Mitmensch die entscheidende Rolle spielt, zunehmend wichtig. Die Bibel als Buch, in dem Gott uns anspricht. Aber vielleicht war es auch umgekehrt: Vielleicht hat ihn die Bibel, bewusst oder unbewusst, zu seiner Ich-Du-Philosophie angeregt, oder nochmal anders: Es war einfach ein reziproker Prozess, wo man im Nachhinein gar nicht mehr so genau sagen kann, was am Anfang stand.

1) Martin Bubers Zugang zur Bibel
Martin Bubers Zugang zur Bibel ist ein zutiefst existentieller. Wer hätte auch etwas anderes erwartet! Ihn interessiert die Bibel, weil sie eine Begegnungs- bzw. Beziehungsgeschichte ist, eine Schrift, die uns in die Kunst der Begegnung mit Gott, unserem Mitmenschen und der Welt einweisen will. Allein diese Begegnungsvielfalt kann uns in der Tiefe unseres Menschseins verändern. In seinem Aufsatz „Der Mensch von heute und die Jüdische Bibel“ aus dem Jahr 1936 schreibt er: „Diese Erzählungen sind, offenkundig über sich hinausweisend, Berichte von Begegnungen. Diese Gesänge sind Klagen um das Ausgeschlossenwordensein von der Gnade der Begegnung, Bitten um ihre Wiederkehr, Dank für ihr Geschenk. Diese Weissagungen sind Anrufe zur Umkehr des verlaufenen Menschen an den Ort der Begegnung und Verheißungen der Neuknüpfung zerrissenen Bandes.“ (W II, 849) Wichtig ist dabei, dass die Erzählungen der Bibel nicht nur Bericht „über“ sind, sondern dass sie selbst zur Anrede des göttlichen Du werden. Das klingt schon fast protestantisch nach einer Art Wort-Gottes-Theologie. Die Bibel soll jedenfalls zur Anrede werden, und dass dies ihr inhärentes Ziel ist, zeigt sich schon in ihrer Gestalt. Er schreibt in „Biblischer Humanismus“ (1933, W II, 1090): „Das biblische Wort hat da seine ganze Mächtigkeit, wo es in der Unmittelbarkeit, in der Gesprochenheit verblieben ist. Dass ein Psalm Aufschrei und nicht Gedicht, dass Prophetenrede Anruf und nicht formgerechte Allokution ist, das gehört wesentlich zur Biblizität des biblischen Wortes. … Darum aber auch ist es im Bereich dieses Wortes möglich geworden, dass die vermenschte Gottesstimme, in menschlichem Idiom ertönend, von Menschenlettern eingefangen, doch nicht wie der Part eines Gottes in den Epiphanien der griechischen Tragödie vor uns spricht, sondern zu uns.“ Es ist genau dieses Element der Ursprünglichkeit, das er dann in seiner Bibelübersetzung zu wahren versucht. In der Bibel kommt der wirklich von Gott ergriffene und durchdrungene Mensch zur Sprache, und deshalb kann dieses Wort auch für heutige Menschen wieder zu einer Ansprache werden, in der sich die Ansprache Gottes ereignen kann.
Buber verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zu griechischem Denken. Der Logos der Griechen „ist“, er ist ewigseiend. Zitat: „Im Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte ist das Wort nicht, es geschieht, es wird gesprochen. Hier gibt es kein „Wort“, das nicht gesprochen wird; das einzige Sein des Wortes ist sein Gesprochensein; aber alles Sein der seienden Dinge kommt vom Gesprochensein, Gesprochenwerden des Urworts her: ‚er selber sprach, und es ward‘. Die Griechen lehren das Wort, die Juden berichten es.“ Hier hat Buber einen Wesenszug biblischen Denkens benannt, nämlich den dynamisch-relationalen, und Sie haben sicher auch gemerkt, wie mächtig hier der Geist von Ich und Du weht. Zusammenfassend: Buber wünscht sich, dass die Bibel wieder lebendiges Gotteswort wird, die den Menschen zu seinem wahren Menschsein führt. Er glaubt, dass sich analog zu biblischen Offenbarungsereignissen, z.B. dem Sinaiereignis, Gottes Anrede auch heute noch ereignen kann. So führt er, nachdem er auf die Sinaiperikope eingegangen ist, aus:
„Wir erfahren zuweilen ein Kleines, das gleicher Art mit dem Großen ist und dadurch uns den Zugang zu ihm eröffnen kann. Es wird erlebt, dass man unversehens ein Wissen in sich merkt, das eben noch fehlte und auf dessen Entstehung nichts einen hinzuleiten vermag. … (Anmerkung des Referenten: er wendet sich nun gegen psychologisierende Erklärungen, dann: …) Nein, was mir widerfahren ist, war eben die Anderheit, das Angefasstwerden durch das Andere. …“ Letztlich geht es um den göttlichen Geistesblitz, der in unser Leben hinein leuchtet und uns zur Gewissheit werden lässt, dass sich inmitten unserer Welt und unseres Lebens Transzendentes ereignet.
Doch so sehr es Buber um diese ganz persönliche Begegnung mit Gott geht, die meine Existenz mir erschließt, so sehr ist Buber bewusst, dass der moderne Mensch große Probleme hat, die Bibel überhaupt noch ernst zu nehmen, gerade weil sie oft so mythologisch – früher hätte man gesagt „supranatural“ – daherkommt. Deshalb bemüht er sich immer auch solche mythologischen Passagen verständlich zu machen, und natürlich geht er davon aus, dass die Bibel nicht kein authentischer historischer Bericht ist, sondern dass in der Überlieferung vieles dazu gekommen ist, das als Wirkung des ursprünglichen Geschehens zwar durchaus Sinn macht für den späteren Leser, aber eben nicht in einem positivistischen Sinn historisch ist.
Bezogen auf die Sinaierzählung z.B. sagt er in „Der Mensch von heute und die Jüdische Bibel“, dass es natürlich am Sinai keine übernatürlichen Vorgänge gegeben hat, in dem Sinn, dass da Feuer vom Himmel kam. Vielleicht gab es etwas Besonderes: vulkanische Erscheinungen oder ein Gewitter. Aber so etwas passiert ja immer wieder und ist damit noch kein Offenbarungswunder. Wichtig ist, dass der Mensch im „natürlichen“ Geschehen die Stimme Gottes hört und so das Ereignis als Offenbarung begreift. Man kann, darum bemüht er sich, den Vorgang der Durchquerung des Schilfmeers natürlich begreifen, aber das Natürliche kann transparent werden für das Übernatürliche. Offenbarung ereignet sich dort, wo das von Gott inspirierte deutende Wort hinzukommt (Verheißung und Erfüllung) und man dieser Deutung der Wirklichkeit Glauben schenkt. Die ganze Kindheitsgeschichte dagegen ist für ihn spätere Zutat, analog zu gebräuchlichen Vorstellungen aus der Umwelt. Sie merken schon: Oft sind seine Deutungen ein wenig rationalistisch, sowie das im 19. Jh. in theologischen Wissenschaft insgesamt der Fall war. Aber es ist festzuhalten: Im Unterschied zu modernen, oft auch christlichen Exegeten, geht er nie so weit, dass er die historische Grundsubstanz gänzlich auflöst. Das wiederum hängt damit zusammen, dass er sich sehr bewusst als Geschichtstheologe begreift und darin die Essenz biblischen Selbstverständnisses erblickt. Er sieht es als wesentlich für jüdischen Glauben an, dass Gott konkret in der Geschichte gehandelt hat.

2) Inhaltliche Aspekte der Bibelauslegung Martin Bubers

a) Geist und Natur gehören zusammen – ein Plädoyer gegen jede Form theologisch-geistlicher Schizophrenie
Martin Buber, das hat sein Weg zur Dialogphilosophie deutlich gemacht, wehrt sich gegen jede Trennung von Gott und Welt, die beides gegeneinander ausspielt und Gott nur in einem Jenseits von Alltag, Welt und Geschichte sucht. Nur Geist, nur Gott, das ist eine Verachtung der Schöpfung und darin auch eine Verachtung des Schöpfers, der uns als irdische Menschen geschaffen hat. Nur Natur, nur Materie, ohne Gott, das ist Götzendienst, das ist eine Verabsolutierung des Irdischen, die letztlich uns selbst und andere in Verderben reißt, weil es nur in Gott wahren Frieden gibt und weil nur durch seinen belebenden Geist die Natur und das Irdische in seiner wahren Schönheit und Bedeutung erkannt werden. Diese Einsicht betont er bei seiner Bibelauslegung immer wieder, und es ist zu vermuten, dass er diese Einsicht auch aus der Bibel gewonnen hat: „Das ‚Alte Testament‘, das, die heilige Vermählung von Geist und Leben lehrend, wie jede Versklavung des Lebens unter den Geist so jede Beugung des Geistes unter das Leben ablehnt, hat dennoch auch heute und hier noch die Macht dem heutigen Menschen in seiner eigentlichen Not zu helfen („Mensch von heute“, W II 861).“ Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, wählt er z.B. das hebräische Wort ruach aus. Ruach, das wissen Sie vielleicht, kann beides bedeuten: Wind, Sturm auf der einen Seite oder Geist auf der anderen. Man kann das gegeneinander ausspielen, aber Buber tritt dafür ein, immer beide Aspekt im Sinn zu haben, auch wenn der Akzent an einer bestimmten Stelle eher bei Gott oder beim Materiell-Natürlichen liegen kann. Wenn es deshalb in Gen 1,2 heißt, dass der ruach elohim, der Geist Gottes oder der Wind Gottes weht, dann ist das eine Art Oberüberschrift für die ganze Schöpfung, die deutlich macht, dass man Schöpfung und Natur nicht gegeneinander ausspielen darf („Mensch von heute“, W II 862). Er versteht übrigens auch die beiden Schöpfungsgeschichten als etwas, wo bewusst beides zusammenklingen soll: Gen 1 hat den äußeren Menschen zum Thema! Gen 2 eher den inneren Menschen („Mensch von heute“, W II 864f)! (vgl. Joseph Soloveitchik)

b) Gott und Volk (auch Land) gehören im AT zusammen
Ein zweites Thema, das bei Martin Buber immer wieder vorkommt, und das mit dem ersten eng zusammenhängt, ist der Hinweis darauf, dass das Alte Testament sich von seiner Gesamtperspektive an ein Volk wendet, eben an das jüdische Volk. Dieses Volk ist erwählt, um Gott in dieser Welt zu repräsentieren, um ihn anschaulich zu machen. Das ist seine besondere Berufung, auch gegenüber den Völkern. Die Abwehr eines geistig-materiellen Dualismus, die tiefe Überzeugung, dass der Geist sich materialisieren, dass er konkret Gestalt annehmen muss, zeigt sich im kollektiven Bereich, in seinem Verständnis des Gottesvolkes. Dieser theologische Akzent durchzieht sein ganzes theologisches Schaffen, aber es ist interessant, dass er an hervorgehobener Stelle auch dort begegnet, wo er mit Franz Rosenzweig zusammen seine Bibelübersetzung begründet, wo er sich also als biblischer Theologe outet und zu erkennen gibt, welche seine großen hermeneutischen Leitlinien sind. „Ein Doppeltes hebt die Schrift, das sogenannte Alte Testament, von den großen Büchern der Weltreligionen ab. Das eine ist, daß Ereignis und Wort hier durchaus im Volk, in der Geschichte, in der Welt stehn. Was sich begibt, begibt sich nicht in einem ausgesparten Raum zwischen Gott und dem Einzelnen, über diesen geht das Wort an das Volk, das hören und verwirklichen soll. Was sich begibt, erhebt sich nicht über die Volksgeschichte, es ist nichts anderes als das offenbare Geheimnis der Volksgeschichte selber. Aber eben damit ist das Volk gegen die nationale Selbstzwecksetzung, die Gruppeneigensucht, den ‚Atem der Weltgeschichte‘ gestellt; es soll die Gemeinschaft der Seinen als Vorbild einer Gemeinschaft der so vielen und verschiedenen Völker errichten, der geschichtliche Bestand in ‚Stamm‘ und ‚Erde‘ ist an den ‚Segen‘ gebunden [Gen, 12 7ff.] und der Segen an den Auftrag. Das Heilige dringt in die Geschichte ein, ohne sie zu entrechten.“ Was hat das mit Bibelübersetzung zu tun? Vielleicht dies, dass die Leibwerdung, die Gestaltwerdung des Geistes in einem Volk dem entspricht, was in der Schrift geschieht. Auch dort geschieht Verleiblichung des Gotteswortes. Deshalb ist die Gestalt des Gotteswortes alles andere als gleichgültig, und der Übersetzer muss sich bemühen, sich dieser besonderen Gestalt anzunähern.

c) Wahrheit, Offenbarung, Glaube als Ereignis
Es ist bezeichnend für Martin Buber, dass Wahrheit für ihn nicht primär etwas ist, das man als Dogma besitzen kann, sondern etwas, das geschieht, das sich ereignet. Dieses Wahrheitsverständnis wird vielleicht dort am anschaulichsten, wo sich Buber mit der Namensoffenbarung Gottes an Mose befasst. Sie wissen vielleicht, dass dort, wo Mose nach dem Namen Gottes fragt, Gott auf Hebräisch antwortet: Ehjeh ascher ehjeh. Das wurde oft übersetzt als „Ich bin der ich bin“ oder sogar (LXX): „Ich bin der Seiende.“ Hier ist Gott in sich ruhend gedacht, als ewiges Sein. Buber zu solcher Übersetzung: „Aber das wäre nicht bloß eine Art von Abstraktion, wie sie nicht gerade in Epochen steigender religiöser Vitalität zu entstehen pflegt, sondern das Werk gibt in der biblischen Sprache diese Bedeutung der reinen Existenz gar nicht her; es meint: geschehen, werden, da sein, gegenwärtig sein, so und so sein, aber nicht sein an sich.“ (Moses, W II, 62) Statisch übersetzt, also ‚Ich bin, der ich bin‘, könnte nach Buber nur als Verweigerung der Frage verstanden werden. Aber ist das in dieser Situation wahrscheinlich, wo das Volk in der Krise ist und Gott sich aufgemacht hat, es zu retten? (vgl. auch Benno Jakobs zur Stelle) Unwahrscheinlich! Gerade Ex 3,12 und 4,12 (Rahmung) legen dagegen nahe den Ausdruck als „Ich werde dasein“ zu verstehen. Ich werde für euch dasein. JHWH nach Buber: „Ich bin und bleibe gegenwärtig; und dahinter steht die eigentliche Antwort an die ägyptisierend-magisch Gesinnten, die vom technischen Magismus Infizierten: Es ist müßig, mich herbeibeschwören zu wollen, ich stehe meinem Wesen gemäß wieder und wieder denen bei, deren ich mich annehme, und ich tue euch ja kund, dass ich mich euer annehme.“ (63) Die ganze Formulierung würde dann vielleicht heißen: „Ich werde da sein, als der ich da sein werde.“ Durch sie würde Gott sagen: “Ich werde zwar immer da sein, ja für euch da sein, aber eben als der, als der ich dann für euch da sein werde.“ Gott sagt sich zu, aber weigert sich, sich auf eine bestimmte Erscheinungsweise festzulegen. Insgesamt wird der Mensch dazu aufgefordert, sich auf das Wagnis der Begegnung mit Gott einzulassen, aber eben auch darauf, sich auf Überraschungen einzulassen. Für die Frage nach Wahrheit ist interessant, dass man Gott nicht „haben“ kann im Sinne eines Wahrheitsbesitzes, dass man ihn aber sehr wohl haben kann in der Gewissheit seiner Präsenz, seiner Zugewandtheit. Das ist kein beliebiges Gottesbild, keine agnostisches Gottesbild, denn das „Wesen“ Gottes wird sehr wohl benannt, nämlich in dem, was man als seine Liebe, als seine Menschenfreundlichkeit bezeichnen kann, aber man bleibt gegenüber theologischen Gottesspekulationen zurückhaltend. Wir werden sehen, dass diese Sicht auch für die Auseinandersetzung mit dem Christentum eine große Rolle spielen wird.

d) Martin Buber als Bibelübersetzer
Zu diesem Thema müsst man mehr sagen und sich intensiver darauf einlassen, als das in diesem Rahmen möglich ist. Aber da das Thema in seinem Leben eine zentrale Rolle spielt, will ich es auch nicht einfach ausblenden. Lassen Sie mich mit ein paar Anmerkungen beginnen:
Martin Buber hat sich sehr früh mit dem Gedanken auseinander gesetzt, ob er die Bibel übersetzen soll. Bereits im Jahr 1914 wollte er dieses Unternehmen in Angriff nehmen. Es war sogar schon ein Verleger im Blick. Aber der I. Weltkrieg hat diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung gemacht, wobei das Projekt keinesfalls aufgegeben war. 1918 sprach er sich in einer Rede an die Jugend erneut für eine Bibelübersetzung aus (G. Wehr, 179). Er will die „urhebräische Sprachseele“ entdecken, will hinter alles Vordergründige hindurch das „Walten der Urkräfte“ wahrnehmen. Man merkt, dass in diesen Formulierungen, die neben durchaus vernünftigen methodischen Kriterien stehen, viel romantischer Mystizismus mitschwingt, und es ist deshalb vielleicht sogar zu begrüßen, dass er noch ein paar Jahre warten musste, bis er das Werk in Angriff nehmen konnte. Es war ja insgesamt so, dass die Beschäftigung mit der Bibel erst langsam in seinem Leben an Fahrt und Intensität gewann. Ernst wurde es dann Mitte der 20er Jahre, und daran ist die Begegnung mit Franz Rosenzweig, mit dem Buber die Schrift gemeinsam übersetzt hat, nicht ganz unschuldig. Franz Rosenzweig war zwar zuerst gegen eine solche Übersetzung – eine jüdisch revidierte Lutherübersetzung hätte ihm gereicht – ließ sich dann aber doch von Martin Buber überzeugen. Nicht unwichtig ist auch, dass sich ein Verleger (Lambert Schneider) fand, der sich für dieses Unternehmen erwärmte und Buber auch noch ein gutes Salaire in Aussicht stellte, was für einen freischaffenden Menschen nicht ganz unwichtig ist. Es ging dann alles zügig los: Bereits 1925 war die Genesis abgeschlossen, die nächsten Bücher folgten rasch. Leider ist Franz Rosenzweig, der kurz nach der Begegnung mit Buber von einer heimtückischen Krankheit befallen wurde, 1929 gestorben. Bis dahin kamen sie zum 53. Kapitel des Jesajabuches. Martin Buber hat dann alleine weitergemacht, so dass bis 1937 15 Teilbände erschienen waren. 1938 wandert Buber nach Palästina aus, der Schocken Verlag wurde von den Nazis enteignet, so dass hinfort keine weiteren Bände erscheinen konnten. Erst 1950 kam es zu einer Neuauflage. Buber hat den noch ausstehenden Rest fertig übersetzt (bis 1961) und die bereits erschienenen Bücher neu bearbeitet.
Doch was war nun das Ziel der Übersetzung. Ich sage es in meinen Worten: Buber und Rosenzweig waren der Überzeugung, dass die Bibel unattraktiv geworden ist, weil man das, worum es ursprünglich in der Bibel ging, nämlich den lebendigen Zuspruch und die lebendige Anrede nicht mehr hören kann, alles wurde zu sehr mit Dogmatik, Theologie, „stimmloser theologisch-literarischer Beredsamkeit“ überlagert (Über die Wortwahl, W II, 1111). Man muss zuerst das Herz der biblischen Autoren erfassen, ihren Geist, ihre Seele, und dann muss man sprachschöpferisch versuchen, dies im Deutschen wiederzugeben. Etwas platt ausgesprochen: Der Google-Translator genügt nicht! Diese ursprüngliche Sprachgestalt wiederum hängt aber auch eng mit der Besonderheit des Hebräischen zusammen, so dass es ein Ziel einer Übersetzung sein muss, dieser Sprachgestalt möglichst nahe zu kommen. Also auch nicht einfach eine Übertragung ins moderne Deutsch, sondern eine, wie soll ich sagen, Übersetzung, die die Eigenart hebräischen Denkens und Glaubens abbildet. Nicht das Hebräische eindeutschen, sondern das Deutsche hebraisieren, d.h. den Rhythmus aufnehmen, den hebräischen Klang der Worte nachahmen, die Wortsetzung bedenken, usw. usf. Zitat: „Als ob eine echte Botschaft, ein echter Spruch, ein echter Gesang ein von seinem Wie ohne Schaden ablösbares Was enthielte, als ob der Geist der Rede anderswo als in seiner sprachlichen Leibgestalt aufzuspüren und anders als durch deren zugleich treue und unbefangene Nachbildung den Zeiten und Räumen zuzutragen wäre. … Zur Verkündigung der Propheten gehören nicht bloß seine Symbole und seine Gleichnisse, sondern auch der Grundstrom althebräischer Sinnlichkeit noch in den geistigen Begriffen, die straffe Spannung der althebräischen Satz-Architektur, die althebräische Art, nah beieinander stehende, aber auch voneinander entfernte Worte durch Wurzelverwandschaft oder Gleichklang aufeinander zu beziehen, der gewaltige, auch über alle Metrik hinaustreibende Klang althebräischen Rhythmus.“ (Verdeutschung, 6/7) Buber weiß, dass dies unmöglich ist, und doch muss der Übersetzer sich diesem Ideal anzunähern versuchen.

Dr. Peter Hirschberg

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