"Bist du es, der da kommen soll ... " - die Messiasfrage im christlich-jüdischen Gespräch

“Bist du es, der da kommen soll … “ – die Messiasfrage im christlich-jüdischen Gespräch

Als Johannes der Täufer im Gefängnis saß, schickte er seine Jünger zu Jesus und ließ ihn fragen: “Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?” Damit stellte Johannes Jesus die messianische Frage. Johannes wollte endlich Gewißheit haben, wollte endlich wissen, ob Jesus von Nazareth der verheißene Heilsbringer ist oder ob man weiter warten, bangen und hoffen muß. So klar und deutlich, wie er und andere es gern gehabt hätten, war die Sache mit der Messianität Jesu eben anscheinend nicht. Es gab zwar manche Hinweise, die dafür sprechen konnten, daß Jesus der Messias ist, aber es gab mindestens genauso viel Gründe, die all die messianischen Hoffnungen bezüglich der Person Jesu zu widerlegen schienen. Deshalb verwundert es auch nicht, daß die Reaktionen der jüdischen Zeitgenossen Jesu so unterschiedlich ausfielen. Bis zum heutigen Tag scheiden sich an Jesus die Geister, und zwischen Juden und Christen ist immer noch die Messiasfrage der entscheidende Streitpunkt. Warum Jesus für uns Christen der Messias ist, während er es für Juden nicht sein kann, das ist die Frage, um die es im folgenden gehen soll.

Jüdische Messiaserwartung

Eine kleine Vorbemerkung sei mir erlaubt. Es ist unmöglich, in einem kurzen Artikel ein differenziertes Bild jüdischer Messiasvorstellungen zu geben. Schon in neutestamentlicher Zeit gab es die unterschiedlichsten messianischen Vorstellungen im Judentum. Und auch im nachbiblischen Judentum ist die Erwartung alles andere als einheitlich. Sowohl im rabbinischen Schrifttum wie in den mystischen Traditionen können wir hoch differenzierte und interessante messianische Erwartungen finden. Es kann also nur ein äußerst grobes Bild gezeichnet werden, aber vielleicht doch ein Bild, das den Hauptstrom messianischer Vorstellungen, wie er sich jüdischem Denken und Glauben eingeprägt hat, erkennbar werden läßt.

Ich möchte versuchen, eine Schneise in die Messiasproblematik zu schlagen, indem ich zwei einfache Fragen stelle. Die erste Frage bezieht sich dabei auf die Person des Messias, die zweite Frage kreist um die Aufgaben und Funktionen des Messias, so wie sie ihm von Gott her nach jüdischer Vorstellung zugedacht sind.

Was die Person des Messias angeht, so könnte man sagen: Messias kann nach jüdischer Vorstellung jeder ganz normale Jude sein. Zwar ist der Messias – “maschiach” heißt ja nichts anderes als “Gesalbter” – ein in besonderer Weise von Gott gesalbter, mit besonderer Vollmacht und Autorität ausgestatter Mensch, aber in all dem eben doch ein ganz normaler, wenn man so will gewöhnlicher Mensch.

Dies wird schon deutlich, wenn man sich einen der zentralen messianischen Texte des Alten Testamentes betrachtet. Ich meine Jesaja 11. Dieser Text wird nicht nur von christlichen, sondern auch von der Mehrzahl jüdischer Ausleger als messianischer Text verstanden. Er beschreibt in deutlichen Worten die Geistsalbung des Messias, des erwarteten Davididen: “Es ruhte auf ihm der Geist des Herrn.” (Jes.11,2) Die Geistsalbung also ist die besondere Eigenart des Messias, sie stattet ihn mit einer einzigartigen Vollmacht und Autorität aus und befähigt ihn zu all den heilvollen Taten, die in den folgenden Versen (Jes 11, 2-5) beschrieben werden. Insofern ist der Messias eine einzigartige Erscheinung. Aber er ist und bleibt in all dem Mensch, er wird nicht vergöttlicht. “Der Davidide ist durch das “Ruhen des Gottesdienstes” nicht überhöht. Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Nachfahre Isais. Gott erfüllt ihn mit Seinem Geist und befähigt ihn zu einzigartigem Tun, doch er transformiert seine menschliche Natur nicht. Auch der ideale “Adam” ist Adam.” (Roland Gradwohl, Bibelauslegung aus jüdischen Quellen, Bd. III, 143.)
Fazit: Jeder Jude könnte theoretisch der Messias sein. Einzige Zusatzbedingung ist vielleicht, daß er aus dem Geschlecht Davids stammt. Aus diesem einfachen Grund konnten innerhalb der jüdischen Geschichte immer wieder auch ganz normale Juden für den Messias gehalten werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den Heerführer Bar Kochba, den Rabbi Akiba im 2. Jh. als Messias proklamiert hat, oder an Sabbatai Zwi im 17. Jh., auf den wir später noch etwas ausführlicher eingehen werden. Selbst in unserem Jahrhundert kann es so etwas noch geben. Das beste Beispiel dafür ist der chassidische, über neunzig Jahre alte und inzwischen verstorbene Rav Schneersohn aus New York, den einige seiner Anhänger noch vor seinem Tod als Messias ausgerufen haben. Diese Messiasproklamation war zwar selbst innerhalb der Chabad-Bewegung höchst umstritten, und man darf die Messiasschwärmerei dieser kleinen jüdischen Gruppe gewiß nicht überbewerten, aber immerhin zeigt das gewagte Unternehmen dieser othodoxen Juden doch in sehr trefflicher Weise, wie konkret und praktisch jüdische Messiaserwartung sein kann. So konkret jedenfalls, daß ein in New York lebender Rabbiner für den Messias gehalten werden kann. Die christliche Vorstellung, der Messias müsse in irgendeiner Weise göttlichen Ursprungs, ja vielleicht sogar Gott selbst sein, ist dem traditionellen Judentum jedenfalls eher fremd.

Was sind nach jüdischer Vorstellung nun die Funktionen und Aufgaben des Messias? Der Messias, so könnte man sagen, ist nicht nur ein ganz normaler Mensch, auch seine Aufgaben sind ganz auf unsere irdisch-geschichtliche Wirklichkeit bezogen. Deshalb braucht man auch keinen besonderen Glauben, um den Messias zu erkennen. An seinen Früchten wird man ihn erkennen. Und um welche Früchte handelt es sich dabei? Der Messias muß der schriftlichen und mündlichen Tora gemäß leben und sein Volk zu einem solchen Leben ermutigen. Er soll die Diaspora sammeln, den Tempel neu erbauen und Frieden stiften zwischen Israel und den Völkern. Sehr schön beschreibt Maimonides in Mischne Tora (Hilchat Melachim, 11) diese messianischen Aufgaben: “Sollte daher ein König vom Stamme David erstehen, der seinen Geist der Tora zuwendet und wie der Stammvater David die Gebote erfüllt, sowohl der schriftlichen wie der mündlichen Lehre, auch ganz Israel veranlaßt, nach der Tora zu leben und sie zu befestigen, so kann er für den Messias gehalten werden; nimmt seine Wirksamkeit einen glücklichen Verlauf, besiegt er die Nationen der Umgebung, erbaut den Tempel und versammelt die Zerstreuten Israels, so ist kein Zweifel mehr, daß er der Richtige war.” An den Werken, die einer tut, ist also zu erkennen, ob er der Messias ist oder nicht. Damit ist die Messiasfrage vor Willkür geschützt. Man hat Kriterien in der Hand, die ein Urteil ermöglichen. Hätte man diese Kriterien auf Rav Schneersohn angewendet, dann hätte man wohl urteilen müssen: Seine Anhänger können tausendmal behaupten, er sei der Messias, so lange Schneersohn die Werke des Messias nicht vollbringt, sind all diese Behauptungen nicht gedeckt.

So könnte man zusammenfassend sagen: der Messias ist nach jüdischer Vorstellung ein<normaler Mensch, wenn auch mit einer einzigartigen geistgewirkten Vollmacht, seine Aufgaben sind klar definiert und beziehen sich primär auf unsere irdisch-geschichtliche Wirklichkeit.

Eine kleine Einschränkung darf hier allerdings nicht fehlen. Gershom Scholem unterscheidet in seinem bekannten Aufsatz zur Messiasfrage zwei Typen messianischer Erwartung, den restaurativen Typus und den utopischen. Bei ersterem geht es, wie der Name schon andeutet, primär um eine Restauration des davidischen Königtums, und zwar eines Königtums, das trotz seiner unverkennbaren Idealgestalt eindeutig ein irdisches Gepräge hat. Beim utopischen Typus dagegen stellt man sich das messianische Zeitalter in deutlich überirdischen Kategorien vor, so daß der Himmel sich zur Erde hin öffnet und die Erde geradezu eine himmlische Verklärung erfährt. Gut illustrieren lassen sich diese beiden Typen an der jüdischen Auslegungstradition von Jes 11. Auf der einen Seite steht hier die eher rationale Interpretation, die in dem großartigen Bild vom Tierfrieden nur einen Hinweis auf den Friedenszustand zwischen Israel und den Völkern sieht. Daneben gibt es eine wörtliche Interpretation dieser Verse, die davon ausgeht, daß überirdische Zustände in dieser Welt herrschen werden: sogar die Natur wird in ihrem Wesen transformiert werden, alle Feindschaft zwischen den Geschöpfen wird ein Ende finden. Allerdings – und insofern wird durch diese Variante das zuvor Gesagte nur bedingt in Frage gestellt – ist selbst in der eher utopischen Konzeption der Schauplatz der messianischen Vollendung immer noch der Bereich der geschichtlichen Welt. So wunderbar und mirakulös man sich das messianische Zeitalter auch vorstellen mag, es gehört eben doch noch zu dieser, und nicht zur kommenden Welt.

Nun könnte jemand fragen: Gibt es denn im Judentum keine Hoffnung auf eine endgültige Erlösung? Was ist denn beispielsweise mit der Auferstehung der Toten, die doch im Achtzehnbittengebet klar und deutlich erwähnt wird. Was ist mit der Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde? Auf diese Fragen müßte man wohl antworten: Natürlich gibt es im Judentum auch die Hoffnung auf eine kommende Welt (olam haba). Aber damit hat der Messias eben primär nichts zu tun. Seine Wirksamkeit ist auf unsere irdisch-geschichtliche Wirklichkeit bezogen. Allerdings wird in vielen Traditionen die messianische Zeit als Auftakt zur endgültigen Erlösung verstanden, so daß manchmal die Grenzen zwischen dieser und der kommenden Welt nicht klar zu ziehen sind.

Die Messiaserwartung war im Judentum der nachbiblischen Zeit nicht nur ein theoretisches Konzept, sondern eine lebendige, für den konkreten Glauben bedeutsame Wirklichkeit. Dies zeigt sich z.B. daran, daß der fromme Jude jeden Tag dreimal in der Amida (Achtzehnbittengebet) betet: “Den Sproß deines Knechtes David lasse bald emporsprießen, sein Horn erhöhe durch deine Befreiung, denn auf deine Befreiung hoffen wir den ganzen Tag.” Und der 12. Glaubenssatz des Maimonides heißt: “Ich glaube mit vollkommenem Glauben an das Kommen des Messias, und obwohl er auch verzögert, warte ich dennoch, daß er kommt.”

Natürlich brachte die Messiaserwartung auch ihre Probleme mit sich. Denn nicht selten hat man sich bei potentiellen Messiasprätendenten getäuscht. Die größte Enttäuschung in diesem Zusammenhang war wohl das Auftreten Sabbatai Zwi’s im 17. Jh. Sabbatai Zwi aus Smyrna, dem heutigen Izmir, war stark von der lurianischen Kabbala geprägt und gelangte auf mehreren Umwegen zu der Überzeugung, daß er der Messias sei. Im Jahre 1665 ließ er sich in Jerusalem als solcher ausrufen. Vor allem der kabbalaistische Prophet Natan Benjamin ha-Levi betätigte sich dabei in der Verbreitung dieser Botschaft. Während man Sabbatai Zwi in Jerusalem ablehnte, ihn sogar verbannte, gelang es ihm, in Smyrna eine gläubige Anhängerschaft um sich zu sammeln. Von dort aus erfaßte die messianische Begeisterung ganz Europa und Nordafrika. 1666 wurde Sabbatai Zwi dann allerdings vom Sultan verhaftet und vor die Wahl zwischen Hinrichtung und Konversion zum Islam gestellt. Sabbatai Zwi entschied sich für die Konversion. Damit fand das messianische Fieber, das er ausgelöst hatte, ein jähes und enttäuschendes Ende, obwohl es weiter Juden gab, die an seiner Messianität festhielten. Aufgrund solcher Erfahrungen mit angeblichen Messiasen ist es dann auch verständlich, daß die religiösen Autoritäten des Judentums schon aufgrund ihrer seelsorgerlichen Verantwortung gegenüber angeblichen Messiasprätendenten vorsichtig und skeptisch sind. Es steht zu viel auf dem Spiel.

Nicht überall im religiösen Judentum rechnet man mit dem Kommen eines persönlichen Messias. So entstand im Reformjudentum des 19. Jahrhunderts die Erwartung einer messianischen Zeit ohne Messias. Hinter dieser Umformulierung der messianischen Hoffnung steckt natürlich der allgemeine Fortschrittsglaube dieser Zeit, aber die Tatsache, daß dies überhaupt möglich ist, zeigt auch, daß die Erwartung eines persönlichen Messias im Judentum keine so große Bedeutung hat, wie Christen es manchmal meinen. Es geht zur Not eben auch ohne Messias. Der Messias ist nicht wie im Christentum eine für die Erlösung des Menschen bedeutsame Gestalt. Er hat keine Mittlerstellung zwischen Mensch und Gott, man bedarf seiner nicht, um im Bund mit Gott zu leben.

Von diesem grob skizzierten Hintergrund her ist nun vielleicht eher verständlicher, warum Juden in Jesus nicht den Messias erkennen können. Jesus hat eben genau die Taten, die das jüdische Volk vom Messias erwartet, nicht vollbracht. Mißt man Jesus z.B. an den Kriterien des Maimonides, dann kann er schlicht und ergreifend nicht der Messias sein. Immer noch gibt es Krieg zwischen Israel und den Völkern. Von dem verheißenen Friedensreich ist wenig zu spüren. Immer noch lebt der größte Teil des jüdischen Volkes außerhalb Israels. Und dort, wo der Tempel zu stehen kommen soll, steht der Felsendom. Doch nicht nur diese unerfüllten messianischen Erwartungen sprechen gegen Jesus. Jesus hat die jüdisch-messianischen Erwartungen nicht nur nicht erfüllt, sondern das jüdische Volk wurde darüber hinaus sogar in seinem Namen von der christlichen Kirche diskriminiert und verfolgt. Wie sollte es aber möglich sein, so fragen Juden, daß Jesus der Messias Israels ist, wenn gerade in seinem Namen das jüdische Volk immer nur Leid und Entbehrung erfahren hat. Schaut so die messianische Zeit aus?

Die jüdische Antwort ist also eindeutig: “Für uns kann Jesus nicht der Messias sein!” Und für die anderen, für die Nichtjuden? In dieser Hinsicht können zumindest manche jüdischen Gelehrten Jesus eine gewisse messianische Bedeutung zugestehen. So sieht Maimonides das Verdienst des Christentums (und übrigens auch das Verdienst des Islam) darin, daß durch es der Gottesglaube Israels, wenn auch in verfälschter Form, zu den Nichtjuden kam. Insofern dient das Christentum wie der Islam der Vorbereitung der messianischen Zeit, hat also eine positive heilsgeschichtliche Relevanz. In eine ähnliche Richtung denkt F. Rosenzweig, wenn er schreibt: “Was Christus und seine Kirche in der Welt bedeuten, darin sind wir einig: es kommt niemand zum Vater denn durch ihn. Es kommt niemand zum Vater – anders aber, wenn einer nicht mehr zum Vater kommen braucht, weil er schon bei ihm ist. Und dies ist nun der Fall des Volkes Israel (nicht des einzelnen Juden).” Solche Zeugnisse jüdischen Denkens sind ein großartiges Beispiel einer tolerant-integrativen Sicht von seiten des Judentums, tragen jedoch zur Lösung der theologisch umstrittenen Messiasfrage nur begrenzt etwas bei. Denn für Christen konstitutiv ist ja gerade der Glaube, daß Jesus als Messias universale Bedeutung für alle Menschen hat, wie immer man mit dieser Überzeugung theologisch dann auch umgeht.

Die christliche Messiasvorstellung

Wir Christen glauben, daß Jesus von Nazareth der Gesalbte Gottes, der Messias ist. Eines muß man sich nun allerdings klar machen: Obwohl beide, Juden und Christen, vom Messias reden, meinen sie eigentlich etwas ganz anderes damit. Mit der Folge, daß oft im Gespräch eine Art babylonischer Sprachverwirrung herrscht. Was Juden im Ansatz unter dem Messias verstehen, ist hoffentlich klar geworden. Bei den Christen nun ist es so, daß sie zwar diesen Begriff auf Jesus als einen unter anderen Begriffen beziehen. “Jesus Christus” heißt ja nichts anders als “Jesus Messias”. Aber, und das ist nun ganz wichtig, eben nicht Jesus primär von diesem Begriff her verstehen, sondern diesen Begriff von der Person Jesu her neu füllen und deuten. Dabei werden zwar auch Inhalte frühjüdischer Messiaserwartung aufgenommen, aber im wesentlichen wird der Messiasbegriff durch neue theologische Inhalte überlagert und somit auch verändert. Diese neuen theologischen Inhalte sind nicht unjüdisch, ganz im Gegenteil, sie wurzeln im alttestamentlich-frühjüdischen Traditionsstrom, aber sie sind eben nicht in erster Linie im Umkreis der “traditionellen” Messiasvorstellung beheimatet. Vielmehr haben sie ihren Ort meist in anderen theologischen Vorstellungsbereichen. So reden beide, Juden und Christen, vom Messias, aber jeder versteht etwas anderes darunter.

Woher kommt diese erstaunliche Freiheit der ersten (Juden-) Christen im Umgang mit der jüdischen Messiaskonzeption? Eine solche Um- und Neuprägung eines traditionell gefüllten Begriffes ist ja doch ein gewagtes theologisches Unternehmen. Und ein solches Unternehmen bedarf, wenn es nicht als willkürlicher Akt einer religiösen Sondergruppe erscheinen soll, einer soliden theologischen Legitimation. Diese theologische Legitimation nun sahen die ersten Judenchristen in der Auferweckung Jesu. Dies lassen die Missionspredigten der Apostelgeschichte erkennen (z.B. Apg 2,29ff; 3,14ff), dies bezeugt Paulus, wenn er in 1 Kor 15,14 bekennt: “Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.” Es hängt also alles an der Auferweckung Jesu von den Toten. Dabei muß man sich folgendes vor Augen halten. Die Jünger Jesu waren schon zu Lebzeiten Jesu, und dann natürlich erst recht infolge der Kreuzigung Jesu, an ihren traditionellen Messiaserwartungen irre geworden. Jesu lebte nicht so, wie man sich das vom Messias erwartet hat. Dort, wo Jesus mit traditionellen Messiaserwartungen konfrontiert wird, verweigert er sich fast immer. Vor allem der Weg des Leidens, zu dem sich Jesus berufen sah, paßte nicht recht zur traditionellen Vorstellung des davidischen Messias. Dieser Widerstand gegen einen leidenden Messias wird z.B. dort sichtbar, wo von Petrus im Zusammenhang mit der ersten Leidensankündigung erzählt wird: “Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.” (Mk 8,32) Und so erzählen die Evangelisten dann auch in sehr realistischer Weise, daß mit der Kreuzigung Jesu all die Hoffnungen und messianischen Erwartungen der Jünger ihr Ende fanden. In der Kreuzigungsszene sucht man vergebens nach den Jüngern Jesu. Nur der Lieblingsjünger und einige Frauen sind nach dem Zeugnis des Johannes bereit, sich dieser äußersten Härte auszusetzen. Für die Jünger war, so wird man vermuten dürfen, mit der Kreuzigung die Sache Jesu erledigt. An die Stelle froher Erwartung waren Depression und Enttäuschung getreten. Die Hoffnungen, die man mit der Person Jesu verband, schienen sich nun endgültig als Illusionen erwiesen zu haben. Bedenkt man all dies, dann ist es um so überraschender, daß sich diese frustrierte Jüngerschar nach einiger Zeit wieder an die Öffentlichkeit wagt, um in großer Begeisterung Jesus als den Christus, als den Messias zu verkündigen. Die einzige Möglichkeit, dieses auch psychologisch erstaunliche Phänomen zu erklären, ist m.E. die Auferweckung Jesu. Weil der Gott Israels selbst sich in der Auferweckung zu Jesus bekannt und ihn so legitimiert hat, konnten auch die Jünger trotz aller Fakten, die gegen die Messianität Jesu zu sprechen schienen, neu an ihn glauben. Die Begegnung mit dem auferweckten Jesus selbst hat also diesen Glauben entzündet, sowie auch allein die Begegnung mit dem auferweckten und in seiner Gemeinde gegenwärtigen Herrn heute solchen Glauben zu erwecken vermag. Und dieses Faktum der Auferweckung Jesu gab der ersten Gemeinde dann auch die Legitimation, alte messianische Vorstellungen neu und anders zu füllen. Theologisch vertretbar ist eine solche Neuinterpretation durchaus. Denn die Erkenntnis, daß Gott seine Verheißungen anders erfüllt als Menschen es erwarten, prägte ja bereits die alttestamentliche Verheißungsgeschichte.

Noch einmal: Juden und Christen sprechen vom Messias. Doch beide meinen damit etwas ganz Verschiedens. Bei Juden steht der Begriff Messias primär für reale Erneuerung in dieser Welt. Für Christen dagegegen ist gar nicht der Begriff wichtig, sondern der von Gott auferweckte Jesus, und von seiner Person und Botschaft her wird der Begriff dann neu gefüllt und interpretiert. Deshalb die häufig anzutreffende Sprachverwirrung.

So ist der Begriff Messias im Gespräch zwischen Juden und Christen eher problematisch als hilfreich. Deshalb folgender Vorschlag. Wenn Christen im Gespräch mit Juden deutlich machen wollen, welche Bedeutung für sie Jesus von Nazareth hat, dann sollten sie mit dem Begriff Messias äußerst vorsichtig umgehen, um nicht unnötige Mißverständnisse hervorzurufen. Am besten beschreibt man die Bedeutung Jesu mit anderen theologischen Begriffen. Man könnte z.B. sagen: Jesus ist für uns der Ort Gottes in der Welt, der Ort eben, an dem uns der lebendige Gott selbst begegnet. Das Du Jesu wird für uns Christen transparent für das göttliche Du. Dann könnten Juden erzählen, wo sie in erster Linie die Gegenwart Gottes erfahren, und man käme so in ein sinnvolles Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Oder man könnte sagen: In Jesus erfahren wir Christen die Versöhnung mit Gott. Und Juden könnten dann ihre Vorstellungen von Vergebung und Versöhnung einbringen. Und umgekehrt: Dort wo Juden über ihre Vorstellung von Messianität sprechen wollen, sollten wir Christen überlegen, welche Bedeutung in unserem Glauben die reale, und in diesem Sinn messianische Erneuerung der Welt hat. Das könnte uns Christen helfen, die messianischen Inhalte im jüdischen Sinn, die es im Neuen Testament ja durchaus auch gibt, neu zu entdecken und zu schätzen. Allein ein so geführtes Gespräch ist meiner Meinung nach sinnvoll. Es schützt vor Mißverständnissen und läßt auf diese Weise erst richtig deutlich werden, wo die wirklichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen.
Peter Hirschberg

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